Samstag, 14. November 2015

Kurzkritik: William Shakespeare's Star Wars - Ian Doescher

William Shakespeare's Star Wars ist eine dramatische Bearbeitung der Star Wars - Filme von Ian Doescher. Die Prämisse ist dabei sehr einfach: Was wäre wenn, William Shakespeare diese Filme als Dramen geschrieben hätte, wobei die Charaktere und die Handlung selbst unberührt bleiben?

Nachdem ich erstmalig über diese Bücher gestolpert bin (damals waren es nur die Bücher der Original-Trilogie), dachte ich, es handle sich um pseudointellektuelle Bücher, die auch den letzten Saft aus der Marke ziehen wollen. Bereits eine kurze Lektüre der Leseprobe sollte mich eines Besseren belehren. Wenige Zeilen verrieten mir, dass Ian Doescher nicht nur ein Star Wars-Fan ist, sondern vielmehr noch mit dem Barden bestens vertraut ist. So passt nicht nur das Versmaß, es macht genauso großen Spaß, die etlichen Anspielungen auf verschiedene Werke des großen englischen Schriftstellers zu finden. Ich war schon versucht, die entsprechenden Fundstellen zu notieren, muss aber zugeben, dass ich dazu selbst noch die restlichen Werke Shakespeares lesen müsste. Dabei sind diese mal offensichtlicher wie "Alas, poor Stormtrooper" (Hamlet; V,1), andere, wie die an "Romeo und Julia" angepassten Reimschemata zwischen Han und Leia, sind subtiler.

Wer also für beide Materialien ein gewisses Faible besitzt, wird nicht enttäuscht, kann dabei auch beobachten, wie der Autor an seiner Aufgabe wächst. Mehr und mehr Spielereien traut er sich zu, sodass stylistisch gesehen die Episoden I-III ein wenig interessanter und verspielter sind, was sie auf dieser Ebene überlegen macht. So rettet er nicht nur einige kleinere Kontinuitätsfehler zwischen den beiden Trilogien - und das durch kurze Gespräche -, sondern verwandelt auch beispielsweise die "Opern"-Szene aus "Die Rache der Sith", im Film bereits eine grandiose Szene, in ein Feuerwerk an Brillanz.

Faszinierenderweise hatte ich kurz vor der Lektüre eine Feststellung gemacht. Während Dramen, gerade klassische, stark an der 5-Akt-Struktur, ob streng oder nicht, orientiert sind, halten sich moderne Werke vielmehr an die 3-Akt-Struktur. So wirkte das Finale früher als Auflösung einer Reihe von Verwicklungen, die im Zuge der vorangegangenen Handlung entstanden sind, und hält sich im Allgemeinen eher kurz. Heutzutage ist das Finale selbst elementarer Bestandteil des Werkes und nimmt einen viel größeren Raum ein und muss über sich selbst Schauwerte liefern. Im Kontrast zwischen Drama und Film fiel mir das besonders auf und es freute mich, in meiner Beobachtung bestätigt zu werden.

Damit verbleiben wir und ich freue mich jetzt nicht nur mehr auf  "Das Erwachen der Macht" selbst, sondern auch die Bearbeitung durch Ian Doescher, der bewiesen hat, dass er auch aus schwächeren Filmen durch Verwendung manch eines Tricks gute Dramen zaubern kann.

Sonntag, 8. November 2015

Let's Dance

In den letzten Wochen ist es bei mir zur Gewohnheit geworden, um 20.00 Uhr jeden Freitag die polnische Ausgabe von Dancing with the Stars anzusehen. Dabei sind mir einige Gründe eingefallen, warum ich diese Sendung, deren Finale nächste Woche ausgestrahlt wird, viel lieber sehe als das deutsche Pendant.

Man kann es drehen, wie man will, aber nichts ändert sich daran, dass Let's Dance immer noch von RTL produziert wird, wodurch sich entsprechende Makel einschleichen. Zum Beispiel ist es unerträglich, wie die Sendung jede Woche aufs Neue künstlich in die Länge gezogen wird. So muss man immer bis 23.00 Uhr warten, damit man die Auflösung präsentiert bekommt. Gerade das Bestimmen des ausscheidenden Paares ist einfach lächerlich. Stattdessen bringt die polnische Variante die Sache angemessen innerhalb von zwei Stunden über die Bühne. Die Momente des Wählens sind kurz und schmerzlos.
Weiterhin sind die Kandidaten deutlich sympatischer. Meistens schafft es Let's Dance akzeptable Kandidaten zu finden, hin und wieder trifft man aber auf die eine Person, welche keine Kritik annimmt und letztlich die Atmosphäre der Sendung vergiftet. Soweit ich das beurteilen kann, umgeht die polnische Variante das irgendwie vollständig.
Selbst die Juroren sind schlicht und ergreifend besser. Alleine die unkomplizierte Punktevergabe, die in Polen relativ schnell und ohne Drumherum erfolgt, während in Deutschland eine Stimme aus dem Off noch groß den Namen des Jurors ankündigt, wartet, bis die Lichter auf ihn oder sie gerichtet sind und dann um die Punktzahl bittet, lässt diesen Eindruck entstehen. Aber auch die Kommentare sind geistreicher. Bei Let's Dance wartet man für gewöhnlich auf Joachim Llambi, damit überhaupt ein gehaltvoller Kommentar zustande kommt. Jorge Gonzales und Motsi Mabuse sind zumeist nur als Dekoration in der Jury, wobei ich gleich dazusage, dass ich mich an eine Sendung in diesem Jahr erinnere, in der die beiden teilweise bessere Kommentare abgegeben haben als Herr Llambi. Solche Abgrenzungen muss ich bei Dancing with the Stars gar nicht machen, denn alle vier haben etwas für gewöhnlich etwas sinniges zu sagen und können das auch vernünftig kund tun.

Nimmt man all das zusammen entsteht der Eindruck einer professioneller produzierten Sendung mit einer insgesamt besseren Atmosphäre. Über die Qualität der Tänze konnte man sich dieses Jahr bei Let's Dance glücklicherweise nicht beschweren, festzuhalten ist aber, dass man definitiv die Präsentation der Sendung noch verbessern kann.

Freitag, 6. November 2015

Der Dunkle Turm 2: Drei - Stephen King

 Mach nicht den Fehler und schenke ihm dein Herz. Guter Rat. Du hast dir selbst geschadet, indem du freundschaftliche Gefühle für diejenigen gefasst hast, denen letztlich geschadet werden musste.
Bedenke deine Pflicht, Roland. 1

Weiter soll es nun auf unserer Reise zum Dunklen Turm gehen. Für mich bewegen wir uns noch auf vertrautem Gebiet, schließlich gehörte Drei (engl. The Drawing of the Three2) zu den beiden Romanen, die ich vor Jahren schon einmal las. Interessanterweise veränderte sich nichts an meiner Einstellung zum eigentlichen Inhalt des Romans, jedoch fiel mir dieses Mal stärker auf, was eben nicht da ist.

Roland erwacht nach dem langen Palaver mit dem Mann in Schwarz, wozu er anscheinend zehn Jahre gebraucht hat. Nachdem ich doch schon etwas weiter in der Reihe bin, wundert mich diese Zeile überhaupt nicht mehr. Es gehört zu einer der Eigenschaften von Mittwelt, eine fürchterlich komplexe Geographie und Zeit aufzuweisen. Insofern sind diese zehn Jahre Schlaf schon beinahe verständlich. Auf jeden Fall geht er am westlichen Strand entlang, denn der Walter, der Mann in Schwarz, hat ihm seinen folgenden Weg weis gesagt: Er wird drei neue Mitstreiter, ein Ka-tet, "ziehen". Mit diesen muss er sich auf die Reise zum Dunklen Turm machen.

Bevor er aber überhaupt zur ersten Tür gelangt, schockt King den Leser gewaltig. Roland trifft auf die  durchgängigen Antagonisten des Romans: die Monsterhummer. Das mag sich jetzt dämlich lesen, jedoch gelingt es King, uns die Furcht vor ihnen zu lehren - im Prolog des Romans. Normalerweise vertrauen Autoren es sogenannten "Red-Shirts" an, diesen Effekt zu erreichen. Das Prinzip ist nicht nur auf "Star Trek" zu beschränken, es kommt allgemein immer dann zum Einsatz, wenn ein Autor eine Gefahr deutlich machen möchte, seinen Hauptfiguren aber gerne verschont, diesen sollen schließlich die Handlung an sich tragen. Stephen King wirft das ganze über Bord und lässt den ersten Hummer sogleich Roland zwei Finger seiner rechten Hand verspeisen (und ein wenig von seinem Fuß). Damit muss der Revolvermann die gesamte Länge des Romans fertig werden, erhält auch am Ende kein Deus ex machina, bleibt bis auf weiteres in dieser Hinsicht eingeschränkt. Zu allem Übel schein der Hummer mit einem Gift ausgestattet zu sein, das Roland schwer krank werden lässt.

Diese Art der Konsequenz zieht sich - bisher - durch die ganze Reihe und lässt den Leser spüren, dass er nicht einfach nur einer Reise beiwohnt, diese hingegen eine klare Auswirkung auf die Charaktere hat. Also hat er mich innerhalb von zehn Seiten schon gewonnen, Glücklicherweise gibt auch der Rest diese Qualität her - meistens zumindest.

So erreicht Roland, schwer angeschlagen, die erste Tür mit der Aufschrift "Der Gefangene". Dahinter verbirgt sich der Kopf von Eddie Dean. Das mag sich seltsam lesen, ist aber völlig korrekt. Wieder einmal applaudiere ich der Kreativität von Stephen King. So absurd das im ersten Moment klingt, schafft er es doch, eine überraschend intelligente Geschichte daraus zu stricken. Es gibt einen klaren Unterschied zwischen Roland dem Betrachter von Eddies Sinnen und ihm als Handelnden, sollte er "nach vorne" kommen. Er kann Eddies Gedanken als Enzyklopädie verwenden, ihn mit Gesprächen beeinflussen, etc. In dieser Hinsicht ist der Roman überraschend gut ausgearbeitet und es macht schlicht Spaß, Roland dabei zu beobachten wie er mit dieser, für ihn ebenfalls neuen Situation umgeht.

Auf dieser Ebene habe ich keinerlei Beanstandungen, wobei hierbei auch der flotte Erzählstil sein Übriges tut. Hält man nun inne und reflektiert über das Gelesene ein wenig, kommt man leider nicht umhin, das ein oder andere festzustellen. Zuerst der Titel: Der Gefangene. Hintergrund soll sein, Eddie sei ein Gefangener des Heroins. Bis auf wenige Momente wirkt sich das aber wenig bis gar nicht auf seinen Charakter aus. Vielmehr scheint es darum zu gehen, ihm irgendeinen Hintergrund zu geben, in den Roland einsteigen kann. Nur wenige Entzugserscheinungen nach diesem kleinen Abenteuer deuten aber auf seine "Gefangenschaft" des Heroins hin.

Weiterhin widerstreben mir in diesem Teil der Geschichte zwei verschiedene Aspekte, die sich gegenüberstehen. Einerseits der eigentliche Verlauf der Handlung, die schon viel früher hätte beendet werden können - ohne Zoll, ohne Polizei, ohne Schießerei. Andererseits der geniale Gebrauch dieser letztlich "nutzlosen" Taten für die Charakterisierung Eddies und Zementierung der Beziehung zwischen Eddie und Roland. So ist es zwar für die Figuren, wie der Autor sie zeichnet, notwendig, den Tod Eddies wahrzunehmen, um den letzten Schritt deutlich zu machen und Eddie durch die anrückende Polizei keinen Ausweg zu lassen, die Handlung braucht aber ab dem Moment, da Roland sowohl Medizin als auch Essen besitzt, nicht mehr fortlaufen.

Das wird nochmals im nächsten Teil, "Die Herrin der Schatten", klar. Ohne großes Federlesen verlässt Roland unsere Welt wieder, sodass der folgende Plot mehr in Mittwelt stattfindet. Dabei handelt es sich hierbei um eine kohärentere Geschichte, die ganz schlicht ein Problem behandelt: Wie kommen wir zur nächsten Tür? Odetta/Detta braucht keinen großen Hintergrund im Sinne eines Plots, in den Roland eingreift, ist sie doch mit ihrer gespaltenen Persönlichkeit Plot genug. Lediglich die Auflösung enttäuscht ein wenig, da hier mehr Gedanken dahinter stecken, als wir zu Gesicht bekommen.

Im dritten Teil um Jack Mort wird das Tempo nochmals deutlich erhöht. Der Revolvermann entschließt sich - nicht ohne Konsequenzen (in tot.) -, Jake zu retten. Dann benutzt er Morts Körper, um einerseits Munition und andererseits Arzneimittel zu ergattern. Die Spannung wird hier unerträglich, das aber im Guten Sinne und Roland hat auch gute Gründe, so lange in unserer Welt zu verweilen. Leider zielt das Ganze auf die Vereinigung von Odetta und Detta zu Susannah ab, welche mich, wie gesagt, wenig überzeugte, sodass dieser starke Teil an einem etwas seltsamen Punkt enden muss. So scheint King selbst verwirrt zu sein, schließlich bezeichnet er Susannah als die dritte "gezogene" Person, obwohl jedem Leser diese Lesart wie Quatsch vorkommen muss, da alleine Odetta und Detta, wenn man denn nun so zählen möchte, zwei Plätze eingenommen hätten. Der nächste Band beweist das dann auch, wodurch King seine eigene Beschreibung etwas ad absurdum führt.

Beim ersten Lesen liebte ich diesen Roman für seine schnelle Erzählung und einfangende Atmosphäre. Beim zweiten Mal, mit der Hilfe der Reflexion, fällt mir zunehmend auf, dass Stephen King eigentlich fast alle Fehler aus "Schwarz" wiederholt. Wir haben immer noch keine Ahnung, wie die Welt Rolands aufgebaut ist, der Turm ist wie Rolands Heroin, allerdings bleibt er gestaltlos. Nicht einmal eine epische Geschichte ist ihm dieses Mal gelungen. Trotzdem würde ich Drei empfehlen, denn er schafft, was in "Schwarz" noch unausgegoren war: Der Autor erzählt eine gute Geschichte. Zwar sind mir viele kleine Schrammen aufgefallen, letzten Endes ist die Erzählung aber gut genug, dass man über diese hinwegsehen kann, lediglich die Nachbereitung deckt sie auf. Mit guter Hoffnung kann man nach vorne blicken, denn wir sind dem Turm wieder ein Stück näher gekommen.

1Stephen King, Drei S. 119
2Mal ernsthaft: Was ist mit diesen Übersetzungen los? Wenigstens sind wir dieses Mal nahe dran, beim ersten Band (Schwarz = The Gunslinger?) war das schon grenzwertiger. Der Höhepunkt folgt natürlich noch.


Mittwoch, 4. November 2015

Harry Potter und der Stein der Weisen - J.K. Rowling

Harry, du bist ein Zauberer.1
 Jetzt ist es schon fast zwei Jahrzehnte her, dass "Harry Potter und der Stein der Weisen", Teil 1 dieser bekannten und erfolgreichen Reihe, auf dem Buchmarkt erschien. Letztlich handelt es sich beim gigantischen Erfolg dieser Bücher um ein Phänomen, welches nie zur Gänze erklärt werden kann. Jeder Versuch einer Erklärung ist notwendigerweise eine Simplifikation. Sicherlich gehörte ein gewisses Timing zum Erfolg der Bücher, jedoch wäre es höchst zweifelhaft, nur daran ihre Beliebtheit auszumachen. Bücher sind nicht einfach nur irgendeine Ware, deren Gewinn sich zur richtigen Zeit erwirtschaften lässt, dahinter steht stets eine etwas größere Vision, welche im diesen Fall abertausende Leser fesseln und begeistern konnte. Deswegen will und kann ich in dieser Hinsicht gar nichts anbieten. Allerdings ist es mir möglich, meine eigenen Erfahrungen mit diesen Werken zu vermitteln, vor allem nachdem ich erst vor Kurzem die gesamte Hörbuchedition spottbillig erstehen konnte - zumindest im Vergleich zum Preis der damaligen CD-Version.

"Harry Potter" ist die Geschichte des gleichnamigen, völlig normalen Jungen, der an seinem elften Geburtstag einerseits erfährt, er sei ein Zauberer, und andererseits eine absolute Berühmtheit in der Zaubererwelt darstelle, denn er habe den bösen Zauberer Lord Voldemort zu Fall gebracht - wobei sich keiner so genau erklären kann, wie er das zustande gebracht hat.

Die Autorin erwähnt gerne, sie habe die Reihe so angelegt, dass der Leser zusammen mit den Figuren wachse. Nachdem ich die Bücher zum x-ten Mal wieder einmal gehört habe, ist mir dabei etwas interessantes aufgefallen. Stilistisch ist diese Aussage völlig korrekt. Die Art und Weise, wie Konflikte und Themen angegangen werden, war definitiv einem Reifungsprozess unterworfen. Jedoch ist es faszinierend, dass die grundlegenden Themen - Umgang mit Tod und Macht - bereits im ersten Band mit voller Wirksamkeit entfaltet werden. Schon im Umgang mit dem Stein der Weisen scheiden sich die Geister an diesen Themen, wird die Linie zwischen Gut und Böse dadurch gezogen: Während Quirrell, angeleitet von Lord Voldemort, die Welt in "Macht und jene, die zu schwach sind, um nach ihr zu streben"2, aufteilt, stellt Dumbledore als ideologischer Gegenpunkt die Liebe über alles3. Ebenso ist es Voldemort, der den Stein benutzen will, um "ewiges" Leben zu erlangen, während laut Dumbledore "der Tod für den gut vorbereiteten Geist nur das nächste Abenteuer ist"4. Dabei schafft es Rowling tiefstes Verlangen mit diesen beiden Aspekten in der Gestalt des Spiegels Nerhegeb5 zu verbinden, welcher dadurch zu einem meiner liebsten magischen Artefakte wurde, der sich zurecht neben dem Teufelsspiegel aus Andersens Die Schneekönigin stellen lassen kann.  Neben anderen Dingen scheint mir vor allem das der Kern zu sein, welcher eine faszinierende Reife der Bücher suggerierte.

Weiterhin schätze ich Rowling vor allem in stilistischer Hinsicht. Neben dem detaillierten Universum, welches sie aufbaut, scheinen gerade die Nebenfiguren immer mit erstaunlich viel Leben gefüllt zu sein. Andere Autoren scheitern schon daran, ihrer Hauptfigur eine Persönlichkeit zu geben, während Rowling es schafft, eine ganze Klasse vor den Augen des Lesers erstehen zu lassen. Das hängt für mich auch mit den präzise gewählten Namen zusammen, die schon beinahe in Tolkienscher Manier auf die Figur selbst schließen lassen. So stört es auch nicht, wenn die Autorin viele Aspekte ihrer erdachten Welt aus anderen Werken und vor allem der klassischen Mythologie entnommen hat, da ihre Welt auf einer ganz anderen Ebene, der menschlichen, definitiv lebendig wirkt.

Wer Fehler finden will, findet sie leider auch am ehesten in diesem Band. Typischerweise für den Beginn einer Reihe, krankt Stein der Weisen an den Fehlern einer Einleitungsgeschichte. Mehr noch als in allen anderen Bücher muss vieles eingeführt werden, damit die Geschichte später wirklich losgehen kann; einiges davon bearbeitet dazu auch noch die Muggelwelt, also die nicht-magische, wodurch noch mehr der Eindruck einer gewissen Langatmigkeit entstehen kann. Der Stil ist noch etwas naiver, sodass Langleser schnell die ein oder andere Diskrepanz entdecken.6 Letzten Endes soll das aber keineswegs von der Qualität und den starken Aspekten des Romans ablenken und keinerlei Problem macht das Buch wirklich kaputt.

Höchstens eines könnte ich nennen, welches mir schon als sehr junger Leser beziehungsweise Hörer missfallen ist. Harry, Hermine, Draco und Neville erhalten eine Strafarbeit, die darin besteht, mit Hagrid den Verbotenen Wald nach einem verletzten Einhorn abzusuchen. Sie finden es und dazu noch eine Gestalt, die das Blut des Tierwesens trinkt. Nachdem der Zentaur Firenze Harry vor der Gestalt rettet, möchte er ihm die Implikationen klar machen. Wer ein so reines Tier wie das Einhorn tötet und dessen Blut trinkt, wird am Leben bleiben, führt jedoch fortan ein verfluchtes Leben. Weder hier noch im weiteren Verlauf der Reihe, obwohl selbst einige abwegigere Fragen beantwortet wurden7, erhalten wir eine Antwort, es wird nicht einmal mehr weiter erwähnt. Ich habe immer noch das Gefühl, dass ursprünglich etwas etabliert wurde, was Rowling verwerfen musste oder selbst verworfen hat, für den Leser bleibt leider nur noch diese Leerstelle.

So bleiben noch zwei weitere Medien zu besprechen. Die Hörbücher mit Rufus Beck sind mittlerweile legendär und man kommt nicht umhin, eigentlich sämtliche anderen Hörbücher auf dem Regal an diesem zu messen. Jede Figur erhält ihre eigene Stimme - das ist kein einfacher Werbespruch, der Verlag wurde davon dazu inspiriert, ein Quiz zu veranstalten: aus den verschiedenen Hörbüchern wurde Sätze genommen und man musste denen die entsprechenden Figuren zuordnen - und es war machbar. Wer also mehr als nur das monoton vorgelesene Hörbuch haben möchte, sondern ein Hörspiel ohne Effekte, der ist mit Rufus Beck gut beraten, den man, ich spreche aus Erfahrung, auch ganze zehn Stunden am Stück hören kann.

Kommen wir zur Verfilmung mit Chris Columbus als Regisseur. Auch hier mag man inhaltlich sagen, was man möchte. Insgesamt ergibt sich für mich ein stimmiges Bild mit einem beachtlichen Schauspielensemble und einem unbestreitbaren Charme, der es sogar schafft, irgendwie diese Naivität passend auf die Leinwand zu bringen. Die Atmosphäre war in den ersten vier Teilen noch unverkennbar und verrät nicht zuletzt durch die Musik und die Sets stets einen Potter-Film.

Alles in allem darf man sich also ruhigem Gewissens dem ersten Band der Harry Potter - Reihe nähern. Ein starker emotionaler und tiefsinniger Kern ist hierbei von einer fein ausgearbeiteten Welt umgeben, sodass eigentlich jeder Leser auf seine Kosten kommen sollte.



1J.K. Rowling, Harry Potter und der Stein der Weisen S.58
2ebd., S.316
3ebd., S.324
4ebd., S.323
5Ich habe übrigens verboten lange gebraucht, um auf die Herkunft dieses Namens zu kommen.
6Mein Liebling wird wohl die Szene sein, in der Snape Harry einen - einen! - Punkt abzieht, und es als riesiges Problem gesehen wird. In späteren Romanen wäre Harry froh sein, würde es sich nur um einen Punkt handeln. Das ist aber auch eher eine Situation zum Schmunzeln.
7Zum Beispiel: "Warum ist der Blutige Baron so blutig?", eine Frage, deren Beantwortung ich nicht für möglich gehalten hätte.

Montag, 2. November 2015

Kurzkritik: Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult - Manfred Lütz

Passenderweise ist vor Kurzem ein weiteres Buch dieses Autors erschienen (Wie Sie unvermeidlich glücklich werden), sodass ich aus gegebenen Anlass über das erste reden kann, das ich damals las. Schon lange Zeit wollte ich mir Lebenslust nochmals zu Gemüte führen, ergriff dann die Möglichkeit mit einem billigen Antiquariatsexemplar.

Wer Manfred Lütz liest, wird grundsätzlich auf drei verschiedene Seiten treffen: Den Theologen (z.B. Gott - Eine kleine Geschichte des Größten), den Arzt (z.B. Das Leben kann so leicht sein) und den Psychotherapeuten (z.B. Irre! - Wir behandeln die Falschen). Dabei darf diese Abgrenzung aber nicht allzu streng gesehen werden, immer wieder fließen Aspekte des einen in die anderen Bereiche. Dies merkt man stärksten bei Bluff! - Die Fälschung der Welt, welches als eine Art Synthesen aus seinen ihm eigenen drei Seiten gesehen werden kann.

Hier handelt es sich definitiv um den Arzt, der schreibt, obwohl sich der Theologe auch einschleicht. Für Lütz steht die moderne Sicht der Gesundheit, die Verklärung zum höchsten aller Güter, am Pranger. Dabei geht er in bester Dürrenmattscher Manier vor und lullt den Leser zuerst mit unglaublich lustiger Polemik und Satire ein, damit er auf die ernsten Konsequenzen für Leib und Leben, Ethik und Moral darstellen kann.

Inhaltlich würde ich im Nachgang diesem seiner Werke den Vorzug vor allen anderen geben, zeigt es doch den stärksten Inhalt. Höchstens Gott - Eine kleine Geschichte des Größten kommt noch im Entferntesten dran, allerdings fehlt selbst diesem die persönliche Note, denn es ist zwar eine tolle Darstellung von Argumenten, doch in Lebenslust werden die Konsequenzen für jeden Einzelnen, wie es beispielsweise in den besten Romanen der Fall ist, auf unbeschreibliche Weise klar vor Augen geführt.

Für mich hat das Buch aber noch eine andere Relevanz. Wenn ich daran denke, wie mir mein Katholizismus beigebracht wurde, ließe er sich am besten im Sinne der neuen Übersetzung von C.S. Lewis' Mere Christianity beschreiben: "Pardon, ich bin katholisch"1 Man mag seinen Glauben haben, grundsätzlich hat der aber nichts Positives und eigentlich muss man sich kontinuierlich dafür entschuldigen und rechtfertigen. Manfred Lütz hat mir eine andere Möglichkeit gezeigt, den eigenen Glauben zu sehen, eben mit einem gewissen Stolz. Dieser Stolz ist dabei weit entfernt von Überheblichkeit, bezieht sich viel eher auf eine Tradition der Weisheit, die nicht das Resultat einer einzelnen Person ist, sondern unter Mitwirkung der gesamten Kirche entstanden ist. Vor ca. drei Jahren war das für mich der erste Schritt, meinen Glauben auf diese Weise anzunehmen.

Allein dafür erhält dieses Buch einen speziellen Platz in meinem Herzen. Letztendlich handelt es sich aber auch um eine schonungslose Abrechnung mit dem Gesundheitswesen, oder zumindest dessen neue Manifestation.


1Anstelle der geschickteren und passenderen Übersetzung, schließlich kann ich mir nicht vorstellen, dass Lewis sich für seinen Glauben entschuldigt hätte, von Christentum schlechthin heißt es modernerweise Pardon, ich bin Christ.