Mittwoch, 30. Dezember 2015

"Dann denkst du nicht nach..."

I need not mention the hundred obvious objections to this crude division; [...] or that it is arguing in a circle to prove at the end that religion is inconsistent with science merely by assuming at the beginning that it is inconsistent with truth.1
Diese Stelle zu lesen hat mich an ein Erlebnis meinerseits erinnert. Es begab sich vor beinahe drei Jahren, als ich im Matheleistungskurs saß, und einem meiner Mitschüler mein Halskette auffiel. Nun sollte man wissen, dass ich seit meiner Firmung eine Halskette mit einem irischen Kreuz trage, wobei ich damals normalerweiser sorgsam darauf achtete, es unter dem Kragen meines T-Shirts verschwinden zu lassen. Das sollte sich einige Monate später ändern, das tut hier aber nichts zur Sache.
Auf jeden Fall bemerkte er es und stellte mir unvermittelt die Frage, ob ich an Gott glaube, was ich bejahte.
"Hm. Ich habe dich eigentlich für intelligenter gehalten."
Auf meine Frage, was er damit genau meine, antwortete er:
"Wer an Gott glaubt, braucht keine Wissenschaft, da er ja für alles Gott hat."
Nun halte ich meine Überzeugungskraft heute noch für alles andere als überragend, man mag sich also rechnen, wie desolat es um diese Fähigkeit vor mehreren Jahren stand. Meine Versuche, Gegenargumente zu bringen, waren wohl dementsprechend dürftig. Trotzdem versuchte ich irgendwie klar zu machen, dass Gott zum Beispiel auch das Prinzip ist, das die Rationalität der Welt garantiert. Dies wurde kategorisch abgelehnt, denn kritisches Nachdenken sei nicht mit Gott vereinbar. Prinzipiell. Wieder und wieder versuchte ich, zumindest ansatzweise verständlich zu machen, dass Gott eben kein Lückenbüßer sei, doch diese Erklärungen drangen überhaupt nicht durch. So blieb mir nur noch das Ende des Gespräches im Gedächtnis:
Ich: "Man fragt sich, wer dabei unkritisch ist."
Er: "Offensichtlich du."


1G.K.Chesterton, in Collected Writings Volume III, p. 378

Dienstag, 29. Dezember 2015

Pardon, ich bin Christ

Manchmal kann ich neue Titel überhaupt nicht ausstehen. "Sinn und Sinnlichkeit" von Jane Austen wird bei mir diesen Namen behalten, obwohl auf meiner Ausgabe "Verstand und Gefühl" steht. Ich halte "Schuld und Sühne" für einen charaktervolleren Titel als "Verbrechen und Strafe", obschon dies eine genauere Übersetzung des Originals darstellt, wodurch sich diese Änderung wohltuend von manch anderer abhebt.

Akzeptanz kann ich aber kaum für ein Buch aufbringen, dessen Titel unbeschreiblich gut zum Inhalt passt. Die Rede ist von "Mere Christianity" von C.S.Lewis. Für gewöhnlich habe ich den Titel mit "Christentum schlechthin" übersetzt gesehen, was die Intention des Autors, der die allgemeinen, alle Konfessionen des Christentums vereinenden Gedanken darstellen wollte. Wie heißt die neueste Übersetzung? "Pardon, ich bin Christ". Nicht nur die Aussage des alten Titels wird kaschiert, Herrn Lewis werden auch Worte in den Mund gelegt, die er nie ausgesprochen hätte, denn für ihn gäbe es schlicht keinen Grund, sich für seinen Glauben zu entschuldigen. Dass es sich dabei um eine Anpassung an den Zeitgeist handelt, demzufolge man nichts Konkretes mehr meinen könne, ohne gleich darauf aufmerksam zu machen, man könne es auch anders sehen, ist dabei der letzte Streich.

Montag, 28. Dezember 2015

1984 - George Orwell

It was a bright cold day in April, and the clocks were striking thirteen.1
Als ich von der vernichtenden Kritik Isaac Asimovs am Roman 1984 von George Orwell hörte, entsprang meinen Gedanken ein Bild, in dem ich diesen Werk zu Hilfe eile und es vor diesem Angriff beschütze, schließlich hätte es vor Jahren einen Platz auf der Liste meiner Lieblingsromane verdient. Ernüchterung breitete sich aus, als ich einerseits Asimovs Kritik las und mir andererseits Orwells Roman nach Jahren nochmals gönnte. Erstere ist gut durchdacht und kritisiert viele Punkte, die ohnehin nie mein Lob erhielten, letzterer ist bei weitem nicht so gut, wie ich ihn in Erinnerung hatte.

Die Geschichte ist schnell erzählt: Im Jahre 1984 gehört London zum Superstaat Ozeanien, in dem die Partei mit eiserner Hand und konstanter Beobachtung ihrer Mitglieder regiert. Winston Smith ist ein Mitglied dieser Partei, der in sich den ersten leisen Widerstand spürt. Dieser wird aber erst konkret, als er Julia trifft...

Die Kritik ist in vier Teilen verfasst, wobei uns der erste nur, welcher einige biografische Notizen enthält, nur am Rande interessiert. Hier entwickelt Asimov die These, Orwell habe lediglich eine persönliche Vendetta mit dem Stalinismus auszutragen. Dazu äußere ich mich, wenn wir mit dieser Kritik durch sind.

Der zweite Teil behandelt den Science-Fiction-Aspekt von 1984. Sein größter Kritikpunkt ist dabei die fehlenden Aspekte, die zu diesem Genre dazugehören. Anstatt eine wirkliche Vision der Zukunft zu liefern, verschiebe Orwell London 1000 Meilen in den Osten und stelle es als Moskau dar. Beispielhaft dafür ist die konstante Überwachung, welche wird über die TV-Geräte sichergestellt wird. Selbst mir ist, wie Asimov, die völlige Ineffizienz dieses Systems aufgefallen. Es mag eine schreckliche Vorstellung sein, aber wem kann man diese Aufgabe einerseits zutrauen (ein der Welt von 1984 völlig fremdes Prinzip), andererseits die physische Belastung auferlegen, denn prinzipiell müsste dieser 24 Stunden Aufmerksamkeit zeigen. Hier ist definitiv die Fantasie mit Orwell durchgegangen. Mit Computern wäre dies noch denkbar, jedoch stellt Asimov klar dar, dass der Autor nie soweit dachte.

Weiterhin kritisiert Asimov - völlig zu Recht - die Charaktergestaltung in 1984. Das Wort Tugend scheine Orwell ein Fremdwort, sodass es ihm nicht gelinge eine Figur zu kreieren, deren Eigenschaften über schwach und schleimig hinausgehen. C.S.Lewis hat diesen Punkt brillant zusammengefasst: "If men were only like the people in 1984 it would hardly be worth while writing stories about them."2

Der dritte Teil behandelt die Regierung in 1984. Die organisierten Hasstiraden, Big Brother ,kontinuierliche Neuschreibung der Geschichte - all das hält Asimov für unnötig. Zwar ist vieles davon tatsächlich von der Realität inspiriert, das hilft jedoch nur der Argumentation Asimovs, der dabei bleibt, dass Orwell nur Momentanes im Ort verschob. Grundsätzlich kann ich ihm auch hier nicht widersprechen, lediglich seine Gedanken zu Neusprech zeigen, dass er offensichtlich nicht weiß, was Orwell zum Thema klare Sprache in Presseerzeugnissen sagt. So ist Neusprech auch nicht die Methode, die Leute politisch an der Nase herumzuführen, er wird wohl als erstes zugeben, dass es einfacher ist, dies mit vielen und vor allem langen, schrecklich komplizierten zu bewerkstelligen. Der Sprache hingegen soll, im Zuge der Vereinfachung, die Möglichkeit genommen werden, komplexe Sachverhalte auszudrücken. Wenn ich an die Geschichte des Christentums denke, in der in den ersten Jahrhunderte das Problem bestand, mit der bestehenden Sprache völlig neue Sachverhalte auszudrücken, dann sympathisiere ich mit dieser Darstellung, obwohl ihr definitiv das Aufgreifen in der Geschichte selbst fehlt.

Der letzte Teil geht dann auf die von Orwell dargestellte internationale Situation ein und lobt erstmals. Anders als die meisten habe Orwell mit klaren Augen gesehen, dass die Sowjetunion und China im jeden Fall Feinde bleiben müssten. Nach diesem kurzen Lichtblick, findet Asimov auch schnell wieder etwas kritikwürdiges. Die präsentierte Theorie, es müsse konstanten Krieg geben, damit die Ressourcen aufgebraucht werden, scheint Asimov ebenso sozialistisch inspiriert, wie die Beschreibung der Welt in "High, Middle and Low". Ebenso unüberzeugend findet er diese Theorien damit auch und heute stimme ich ihm zweifellos zu. Die kleine Passage, die den "ewigen Krieg" als notwendig beschreibt, ist, in Asimovs Worten, tatsächlich lachhaft. Mir persönlich ist dabei im Kopf geblieben, wie Winston an einer Stelle zweifelt, ob überhaupt Waren hergestellt werden, was den Ressourcenverbrauch leicht überflüssig machen würde.

Alles in allem sind die Kritikpunkte Asimovs gut konstruiert und treffen, wie ich leider zugeben muss, den Kern des Ganzen. 1984 wird gerne als ein Meisterwerk dargestellt, das für den kritischen Geist eintritt. Leider habe ich heute das Gefühl, Orwell war eher ein Anhänger der Theorie, man sei kritisch, wenn man einen bestimmten Gedanken bejaht. Folgendes Zitat finde ich in diesem Zusammenhang äußerst ironisch: "The best books, he perceived, are those that tell you what you know already."3 Jemanden, der Mortimer J. Adler als Lehrer ansieht, welcher klar jene den Geist erweiternden Bücher lobt, schaudert es bei diesem Satz.

Mein wirkliches Problem konnte ich lange nicht in Worte fassen, bis ich diesen Kommentar von C.S.Lewis gelesen hatte:
Thus the short book does all that the longer does. But it also does more. Paradoxically, when Orwell turns all his characters into animals he makes them more fully human. In 1984 the cruelty of the tyrants is odious, but it is not tragic; odious like a man skinning a cat alive, not tragic like the cruelty of Regan and Goneril to Lear.4
Wenn ich nun zurückdenke, welche Passagen wirklich prägend waren, auch als junger Leser, bleiben nur wenige übrig, doch sie bleiben. Die philosophische Diskussion um die Existenz der Vergangenheit führt zwar zu dämlichen Konsequenzen dieses Regimes, bleibt an sich aber ein nettes Gedankenspiel. Die Ehrlichkeit O'Briens in Bezug auf die Ziele des Regimes ist so erschütternd wie erleuchtend. Die Folter Winstons mit der Intention, ihn fünf statt vier Finger sehen zu lassen, wurde zu Recht von anderen aufgenommen, so von Star Trek und Babylon 5. Wenige Lichtblicke, doch möchte ich sie nicht missen, wobei mir heute die fehlende Qualität von 1984 nur zu schmerzlich bewusst ist.


1George Orwell, 1984 p.3
2C.S.Lewis, 'George Orwell', in C.S.Lewis, 'On Stories and other Essays on Literature' p.104
3George Orwell, 1984 p.208
4C.S.Lewis, 'George Orwell', in C.S.Lewis, 'On Stories and other Essays on Literature' p.103

Sonntag, 27. Dezember 2015

Zitat am Sonntag

Gegenüber all den Sexual-, Pastoral- und Strukturthemen, die innerkirchlich mit Ausdauer diskutiert werden, scheint mir das Hauptproblem tatsächlich völlig aus dem Blick zu geraten: Die Menschen glauben nicht mehr an Gott, geschweige denn an Jesus Christus! Doch darüber wird de facto nicht geredet. Und die Theologie fällt als Argumentenlieferant leider weitgehend aus. Als ich in der Münchner theologischen Fakultät einen Vortrag über mein Gott-Buch hielt, waren die Studenten sehr angetan, doch einige Professoren fanden das, wie mir zu Ohren kam, zu "missionarisch". In der Zeitschrift "Lebendige Seelsorge" wurde mein Gott-Buch positiv rezensiert, allerdings wurde kritisch angemerkt, dass der Autor sich am Ende zu christlichen Glauben bekenne. So etwas ist die Überführung der Theologie in Religionswissenschaft.
Manfred Lütz, in Die Tagespost vom Samstag, 12. Dezember 2015, S. 14

Donnerstag, 24. Dezember 2015

Weihnachten

"1. Christus ist geboren für die Menschen alle, und zum Heil erkoren, ruht er in dem Stalle. Hoch vom Himmel dringt ein Klingen, hört die Engelchöre singen: Gloria, gloria, gloria, in excelsis Deo.
2. Hirten bei der Herde weckt des Engels Kunde: Friede sei der Erde, Freude dieser Stunde! Mit den Hirten lasst uns springen, mit den Engeln lasst uns singen: Gloria, gloria, gloria, in excelsis Deo."


Damit wünsche ich allen meinen Leser ein frohes und besinnliches Weihnachtsfest!

Nach den Weihnachtstagen sollte es dann auch wieder mit regelmäßigen Blogposts weitergehen.

Sonntag, 20. Dezember 2015

Zitat am Sonntag

"Die Kirche wird in vielerlei Weise sichtbar: In der karitativen Tätigkeit, in den Missionsprojekten, im persönlichen Apostolat, das jeder Christ im eigenen Umfeld durchführen muss. Der Ort jedoch, an dem man sie in ganzer Fülle als Kirche erfährt, ist die Liturgie: Sie ist der Akt, in dem wir glauben, dass Gott in unsere Wirklichkeit eintritt und wir ihm begegnen können, ihn berühren können. Sie ist der Akt, durch den wir in Berührung kommen mit Gott: Er kommt zu uns, und wir werden von ihm erleuchtet. Wenn wir bei der Reflexion über die Liturgie unsere Aufmerksamkeit also nur darauf richten, wie wir sie anziehend, interessant, schön gestalten können, laufen wir Gefahr, das Wesentliche zu vergessen: Die Liturgie wird für Gott gefeiert und nicht für uns selbst; sie ist sein Werk; er ist das Subjekt; und wir müssen uns ihm öffnen und uns von ihm und von seinem Leib, der Kirche, leiten lassen.
 Benedikt XVI.: Liturgie: mit der Kirche beten, Generalaudienz am 03. Oktober 2012, zitiert aus Benedikt XVI., Zeit für Gott - Die Kraft des Gebetes S. 205

Samstag, 19. Dezember 2015

Kurzkritik: Die Känguru-Trilogie - Marc-Uwe Kling

Wie immer, wenn es einen Hype gibt, bin ich lächerlich spät dabei, eigentlich schon nach Abebben des Hypes. Die Känguru-Trilogie wird aber von allen Seiten empfohlen, sodass ich mich damit auf einmal versuchen wollte. Allerdings gibt es dazu nicht allzu viel zu sagen, sodass ich mich kurz halte.

Wer sich einige Stunden unterhalten lassen möchte, wird mit diesen drei (Hör-)Büchern nicht schlecht beraten sein. Lustig und humorvoll sind sie allemal, obwohl ich definitiv zugebe, Schwankungen wahrgenommen zu haben. So ist es möglich einige Tracks ohne eine Miene zu verziehen zu hören, während daraufhin aus dem Lachen kaum mehr herauskommt. Weiterhin empfehle ich unbedingt dazu die Hörbücher, denn viele der Lacher hängen stark mit der Darbietung zusammen. Alleine der Kontrast zwischen dem quietschig-schrillen Känguru und dem resigniert weltmüden Kleinkünstler Marc-Uwe machen den Großteil des Humors aus.

Oftmals wird angemerkt, die Känguru-Trilogie habe einen gewissen Tiefgang in ihrer Kapitalismuskritik, was nicht ganz falsch ist, aber auch, wie der Humor selbst, teilweise überlappen sich diese Aspekte, als schwankend von mir empfunden wurde. Es wechselt schlicht zwischen fundierter Kritik und plakativen sozialistischen Argumente, womit man sich dann schon eher bei Brecht ahnt. Zumindest muss ich dem Autor zugestehen, eine gewisse Ironie in diese Kritik mit einfließen zu lassen, beispielsweise wenn das Känguru einen Obsthändler vom Kommunismus, und damit von der Abschaffung des Privateigentums, überzeugen möchte, dies jedoch nur unternimmt, um einen Apfel ohne Zahlung zu erhalten. Fraglich bleibt natürlich, inwieweit diese Ironie mit eingeplant ist.

In einem Aspekt hätte diese Ironie definitiv geholfen, und zwar den Sketchen auf Kosten der Religion. Ich kann man an einen aus dieser Kategorie erinnern, der ein Schmunzeln provozierte, während der Rest nur für ein Verdrehen der Augen ausreichte. Hier hat man es wirklich mit der plakativen sozialistischen Kritik eines Brecht zu tun.

Insgesamt handelt es sich freilich um lustige Hörbücher, allerdings sollte niemand - auch nicht zwischen den Zeilen - die große Kritik des Kapitalismus erwarten, dafür fehlen schlicht die Argumente. Ansonsten habe ich damit ganz schöne Stunden verbracht, sollte ich die Hörbücher aber demnächst in meine Anlage einwerfen, wird das mehr mit deren angenehmen Kürze als deren Qualität zu tun haben.