Dienstag, 1. September 2015

Die Affen und Hamlet

Stellen Sie sich einen Affen vor. Und eine Schreibmaschine oder - die Zeiten ändern sich - eine Tastatur. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Affe sich hinter die Tastatur klemmt und ein literarisches Meisterwerk produziert [...]? Natürlich unendlich klein. [...] Gäbe es allerdings tatsächlich eine unendliche Anzahl von Affen [...], könnte man tatsächlich davon ausgehen, dass jedes Buch, ob nun Meisterwerk oder nicht, irgendwann einmal von einem Affen geschrieben werden würde. [...] Der springende Punkt ist natürlich die Unendlichkeit. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Affe es schafft, beispielsweise Hamlet zu schreiben, ist vernachlässigbar gering. Genauer gesagt liegt sie bei 1:3,4183946 (es hat sich wirklich einmal jemand die Mühe gemacht, das auszurechnen). Wenn sich nun eine unendliche Anzahl Affen an einer Tastatur austobt, muss man diese Minimalchance mit unendlich multiplizieren, und dann wird die Wahrscheinlichkeit, dass einer der Affen es je schafft, das Werk Shakespeares herunterzutippen, auf einmal tatsächlich reell.[...] Will man die Wahrscheinlichkeit von etwas einschätzen, muss man folglich die genaue Anzahl der Affen kennen und mit einberechnen.1

Dass die Rationalität der Welt sinnvoll nicht aus der Irrationalität erklärt werden kann, ist evident.2

 Das von Ruben Mersch dargestellte Gedankenexperiment gehört zu einem der interessanteren dieser Gattung. Dabei ist es geradezu eklatant, wie der moderne Mensch nur völlig technisch an die Fragestellung herangehen kann. Klar vor seinen Augen sieht er die Wahrscheinlichkeit des Ausgangssachverhalts, sodass er zweifelsohne zu dem Ergebnis kommen muss, es sei nicht möglich. Was ihm dabei entgeht, ist freilich kein unbedeutender Fakt: Die geringe Wahrscheinlichkeit gilt eben nicht nur für "Hamlet", sondern für jede x-beliebige Aneinanderreihung von Zeichen, insofern es sich um dieselbe Anzahl derselben handelt. In anderen Worten: Ob ich nun "Hamlet" schreibe oder "Ltmeah" macht aus der Sicht des Zufalls nicht den geringsten Unterschied. Was bringt uns dann also dazu, solche Gedankenexperimente in Erwägung zu ziehen? Der Zufall kann es, wie soeben dargestellt, nicht sein.
So muss man, auch wenn es dem ein oder anderen missfällt, die teleologische Ebene miteinbeziehen. Erst ich als Mensch, damit als Beherrscher einer syntaktischen Sprache, gebe beispielsweise den Worten "To be or not to be" eine Bedeutung. Nicht die Unwahrscheinlichkeit der Aneinanderreihung lässt mich Shakespeare als Genie loben. Es ist der Sinn dieser Worte, der sich, so leid mir das auch tut, nicht der rein faktischen Betrachtung erschließt. Eine niedrigere Ebene erschließt mir vielleicht eine gewisse Tatsache, jedoch handelt es sich bei dieser Beobachtung keineswegs um das konstituierende Moment. Schließlich preisen wir Shakespeare nicht dafür, dass es ihm zufälligerweise gelungen ist, hunderte Zeichen in einer gewissen Reihenfolge zu Papier zu bringen, sondern für seine Lyrik und Einsicht in die menschliche Psyche.



1 Ruben Mersch, Warum wir alle Idioten sind S.120f
2 Joseph Ratzinger, Auf Christus schauen S.30

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