Montag, 28. Dezember 2015

1984 - George Orwell

It was a bright cold day in April, and the clocks were striking thirteen.1
Als ich von der vernichtenden Kritik Isaac Asimovs am Roman 1984 von George Orwell hörte, entsprang meinen Gedanken ein Bild, in dem ich diesen Werk zu Hilfe eile und es vor diesem Angriff beschütze, schließlich hätte es vor Jahren einen Platz auf der Liste meiner Lieblingsromane verdient. Ernüchterung breitete sich aus, als ich einerseits Asimovs Kritik las und mir andererseits Orwells Roman nach Jahren nochmals gönnte. Erstere ist gut durchdacht und kritisiert viele Punkte, die ohnehin nie mein Lob erhielten, letzterer ist bei weitem nicht so gut, wie ich ihn in Erinnerung hatte.

Die Geschichte ist schnell erzählt: Im Jahre 1984 gehört London zum Superstaat Ozeanien, in dem die Partei mit eiserner Hand und konstanter Beobachtung ihrer Mitglieder regiert. Winston Smith ist ein Mitglied dieser Partei, der in sich den ersten leisen Widerstand spürt. Dieser wird aber erst konkret, als er Julia trifft...

Die Kritik ist in vier Teilen verfasst, wobei uns der erste nur, welcher einige biografische Notizen enthält, nur am Rande interessiert. Hier entwickelt Asimov die These, Orwell habe lediglich eine persönliche Vendetta mit dem Stalinismus auszutragen. Dazu äußere ich mich, wenn wir mit dieser Kritik durch sind.

Der zweite Teil behandelt den Science-Fiction-Aspekt von 1984. Sein größter Kritikpunkt ist dabei die fehlenden Aspekte, die zu diesem Genre dazugehören. Anstatt eine wirkliche Vision der Zukunft zu liefern, verschiebe Orwell London 1000 Meilen in den Osten und stelle es als Moskau dar. Beispielhaft dafür ist die konstante Überwachung, welche wird über die TV-Geräte sichergestellt wird. Selbst mir ist, wie Asimov, die völlige Ineffizienz dieses Systems aufgefallen. Es mag eine schreckliche Vorstellung sein, aber wem kann man diese Aufgabe einerseits zutrauen (ein der Welt von 1984 völlig fremdes Prinzip), andererseits die physische Belastung auferlegen, denn prinzipiell müsste dieser 24 Stunden Aufmerksamkeit zeigen. Hier ist definitiv die Fantasie mit Orwell durchgegangen. Mit Computern wäre dies noch denkbar, jedoch stellt Asimov klar dar, dass der Autor nie soweit dachte.

Weiterhin kritisiert Asimov - völlig zu Recht - die Charaktergestaltung in 1984. Das Wort Tugend scheine Orwell ein Fremdwort, sodass es ihm nicht gelinge eine Figur zu kreieren, deren Eigenschaften über schwach und schleimig hinausgehen. C.S.Lewis hat diesen Punkt brillant zusammengefasst: "If men were only like the people in 1984 it would hardly be worth while writing stories about them."2

Der dritte Teil behandelt die Regierung in 1984. Die organisierten Hasstiraden, Big Brother ,kontinuierliche Neuschreibung der Geschichte - all das hält Asimov für unnötig. Zwar ist vieles davon tatsächlich von der Realität inspiriert, das hilft jedoch nur der Argumentation Asimovs, der dabei bleibt, dass Orwell nur Momentanes im Ort verschob. Grundsätzlich kann ich ihm auch hier nicht widersprechen, lediglich seine Gedanken zu Neusprech zeigen, dass er offensichtlich nicht weiß, was Orwell zum Thema klare Sprache in Presseerzeugnissen sagt. So ist Neusprech auch nicht die Methode, die Leute politisch an der Nase herumzuführen, er wird wohl als erstes zugeben, dass es einfacher ist, dies mit vielen und vor allem langen, schrecklich komplizierten zu bewerkstelligen. Der Sprache hingegen soll, im Zuge der Vereinfachung, die Möglichkeit genommen werden, komplexe Sachverhalte auszudrücken. Wenn ich an die Geschichte des Christentums denke, in der in den ersten Jahrhunderte das Problem bestand, mit der bestehenden Sprache völlig neue Sachverhalte auszudrücken, dann sympathisiere ich mit dieser Darstellung, obwohl ihr definitiv das Aufgreifen in der Geschichte selbst fehlt.

Der letzte Teil geht dann auf die von Orwell dargestellte internationale Situation ein und lobt erstmals. Anders als die meisten habe Orwell mit klaren Augen gesehen, dass die Sowjetunion und China im jeden Fall Feinde bleiben müssten. Nach diesem kurzen Lichtblick, findet Asimov auch schnell wieder etwas kritikwürdiges. Die präsentierte Theorie, es müsse konstanten Krieg geben, damit die Ressourcen aufgebraucht werden, scheint Asimov ebenso sozialistisch inspiriert, wie die Beschreibung der Welt in "High, Middle and Low". Ebenso unüberzeugend findet er diese Theorien damit auch und heute stimme ich ihm zweifellos zu. Die kleine Passage, die den "ewigen Krieg" als notwendig beschreibt, ist, in Asimovs Worten, tatsächlich lachhaft. Mir persönlich ist dabei im Kopf geblieben, wie Winston an einer Stelle zweifelt, ob überhaupt Waren hergestellt werden, was den Ressourcenverbrauch leicht überflüssig machen würde.

Alles in allem sind die Kritikpunkte Asimovs gut konstruiert und treffen, wie ich leider zugeben muss, den Kern des Ganzen. 1984 wird gerne als ein Meisterwerk dargestellt, das für den kritischen Geist eintritt. Leider habe ich heute das Gefühl, Orwell war eher ein Anhänger der Theorie, man sei kritisch, wenn man einen bestimmten Gedanken bejaht. Folgendes Zitat finde ich in diesem Zusammenhang äußerst ironisch: "The best books, he perceived, are those that tell you what you know already."3 Jemanden, der Mortimer J. Adler als Lehrer ansieht, welcher klar jene den Geist erweiternden Bücher lobt, schaudert es bei diesem Satz.

Mein wirkliches Problem konnte ich lange nicht in Worte fassen, bis ich diesen Kommentar von C.S.Lewis gelesen hatte:
Thus the short book does all that the longer does. But it also does more. Paradoxically, when Orwell turns all his characters into animals he makes them more fully human. In 1984 the cruelty of the tyrants is odious, but it is not tragic; odious like a man skinning a cat alive, not tragic like the cruelty of Regan and Goneril to Lear.4
Wenn ich nun zurückdenke, welche Passagen wirklich prägend waren, auch als junger Leser, bleiben nur wenige übrig, doch sie bleiben. Die philosophische Diskussion um die Existenz der Vergangenheit führt zwar zu dämlichen Konsequenzen dieses Regimes, bleibt an sich aber ein nettes Gedankenspiel. Die Ehrlichkeit O'Briens in Bezug auf die Ziele des Regimes ist so erschütternd wie erleuchtend. Die Folter Winstons mit der Intention, ihn fünf statt vier Finger sehen zu lassen, wurde zu Recht von anderen aufgenommen, so von Star Trek und Babylon 5. Wenige Lichtblicke, doch möchte ich sie nicht missen, wobei mir heute die fehlende Qualität von 1984 nur zu schmerzlich bewusst ist.


1George Orwell, 1984 p.3
2C.S.Lewis, 'George Orwell', in C.S.Lewis, 'On Stories and other Essays on Literature' p.104
3George Orwell, 1984 p.208
4C.S.Lewis, 'George Orwell', in C.S.Lewis, 'On Stories and other Essays on Literature' p.103

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