Sonntag, 3. Juli 2016

Zitat am Sonntag

"Die arme Fanny! Sie hätte ihn nicht so schnell vergessen können."
"Ich glaube Ihnen, dass sie dies bestimmt nicht getan hätte", erwiderte Anne leise und volle Mitgefühl.
"Es hätte ihrem Wesen ganz und gar nicht entsprochen. Sie verehrte ihn über alle Maßen."
"Es würde dem Wesen jeder Frau widersprechen, die aufrichtig liebt."
Captain Harville lächelte, als wollte er sagen: 'Nehmen Sie dies für Ihr Geschlecht in Anspruch?'
Und Anne beantwortet die Frage, wobei sie ebenfalls lächelte: "Ja, wir vergessen Sie bestimmt nicht so schnell, wie Sie uns vergessen. Vielleicht ist das mehr unser Schicksal als unser Verdienst. Wir können nicht anders. Wir leben still und zurückgezogen zu Hause, und unsere Gefühle lassen uns nicht los. Sie aber können nicht untätig sein. Sie haben Ihren Beruf und immer diese oder jene Aufgaben und Pflichten, die Sie unverzüglich in die Welt zurückrufen; und dauernde Beschäftigung und dauernder Wechsel schwächen alle Eindrücke ab."
[...]
"Ich kann den Büchern keine Beweiskraft zugestehen."
"Wie sollen wir dann aber irgend etwas beweisen?"
"Wir sollen gar nichts beweisen. Wir dürfen nicht erwarten, dass wir in diesem Punkte je irgend etwas beweisen können. Die Verschiedenheit unserer Ansichten lässt keinen Beweis gelten. Wahrscheinlich beginnt jeder von uns mit einem kleinen Vorurteil zugunsten seines eignen Geschlechts, und um dieses Vorurteil bestätigt zu sehen, halten wir alle Ereignisse in unserem Umkreis fest, die dazu dienlich sein können; viele dieser Ereignisse und vermutlich diejenigen, die uns am meisten beeindrucken, mögen gerade derart sein, dass man sie nicht erzählen kannn, ohne eine bestimmte Überzeugung damit zum Ausdruck zu bringen oder in gewisser Hinsicht etwas zu sagen, was eigentlich nicht gesagt werden sollte."

Jane Austen, Überredung S. 279ff (282)

Sonntag, 26. Juni 2016

Zitat am Sonntag

When we think of all the work, big with promise of the future, that went on in those centuries which modern writers in their ignorance used once to set apart and stigmatize as the 'Dark Ages'; when we consider how the seeds of what is noblest in modern life were then painfully sown upon th esoil which Imperial Rome had prepared; when we think of the various work of a Gregory, a Benedict, a Boniface, an Alfred, a Charlemagne, we feel that there is a sense in which the most brilliant achievements of pagan antiquity are dwarfed in comparison with these."
Fiske: The Beginnnings of New England, or the Puritan Theocracy in its Relations to Civil and Religious Liberty
zitiert in:
James Walsh, Medieval Medicine

Sonntag, 19. Juni 2016

Zitat am Sonntag

Aber der Witz ist nicht nur eine Waffe. Man kann den Gegner damit nicht nur aus dem Hinterhalt beschießen, man kann ihn durch einen Witz auf auf elegant Art entwaffnen. In seiner sublimsten Form stiftet der Witz Frieden im hitzigsten Kampf. Auch dafür ein Beispiel:
Staatsgespräche werden protokolliert. So liegt etwa das Konkordatsgespräch Napoleons als Protokoll vor, wo es um eine Abmachung zwischen Staat und Kirche ging. Nun war Napoleon bekanntermaßen ein Kirchenhasser. Er war entschlossen, der katholischen Kirche den Todesstoß zu versetzen, und hatte tatsächlich den Papst gefangen nehmen lassen (- was nicht weiter tragisch war; man hat einfach einen  neuen Papst gewählt).
Jedenfalls - der Kirchenhasser Napoleon empfängt den Vertreter der katholischen Kirche, Kardinal Ercole Consalvi, und merkt sofort, dass dieser Consalvi ihm intellektuell überlegen ist. Das regt ihn maßlos auf. Der kleine Korse springt auf und brüllt: "Eminenz, wissen Sie nicht, dass ich, Napoleon Bonaparte, die Kirche zerstören kann?!" Worauf Consalvi wortwörtlich antwortet: "Sire, die Kirche zu zerstören, haben in all den Jahrhunderten wir Bischöfe nicht geschafft. Das schaffen Sie auch nicht."
Willibert Pauels, Wenn dir das Lachen vergeht, S. 200f

Sonntag, 12. Juni 2016

Zitat am Sonntag

Dennoch ist es eine Sache von äußerster Gefährlichkeit, der Arbeit diesen Charakter absprechen zu wollen. Durch diese Fiktion, Arbeit "diene" nicht primär zu etwas anderem, geschieht genau das Gegenteil von dem, was man zu tun meint oder vorgibt. Es geschieht genau das Gegenteil einer "Befreiung" oder "Rehabilitierung" des arbeitenden Menschen. Es geschieht präzis das, was die Unmenschlichkeit der totalen Arbeitswelt tatsächlich ausmacht: die endgültige Fesselung an den Produktionsprozess, der selber als die in sich sinnvolle Verwirklichung menschlichen Daseins verstanden und proklamiert wird.
Josef Pieper, Muße und Kult, S.106

Donnerstag, 9. Juni 2016

"Hier irrt Llambi!"

In den letzten Wochen hat sich bei mir eine schon morbide anmutende Faszination entwickelt. Regelmäßig habe ich nicht nur die Sendung Let's Dance im Fernsehen verfolgt - an dieser Stelle übrigens Glückwunsch an die Gewinnerin Victoria! -, die einzige im TV, bei der ich das überhaupt mache, obwohl ich ja die polnische Ausgabe bevorzuge.1 Nach jeder Sendung musste ich dann auch einfach den Kommentar von Michael Hull in seiner Kolumne "Hier irrt Llambi!" bei der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ).2 Nicht wirklich, weil ich jemals mit den Inhalten übereinstimmte, sondern einfach, weil ich wissen musste, was er denn so schreibt. Ob es besonders klug ist, kontinuierlich etwas zu lesen, von dem man weiß, dass man damit nicht übereinstimmen wird, kann jeder für sich selbst beantworten.

Dabei fängt es schon beim Titel an: "Hier irrt Llambi!" Dummerweise hat Let's Dance nun mal, für die, die es nicht wissen, drei Juroren. Neben Joachim Llambi sitzen da noch Jorge González und Motsi Mabuse. Also nur gegen einen davon vorzugehen, auch wenn dessen Position als herausstechend wahrgenommen wird, ergibt wenig Sinn. Die Beschwerde, ein Kandidat bekomme zu viele oder auch zu wenige Punkte, bezieht sich immer auf alle drei (mir fallen zumindest nur wenige Ausnahmen ein). Fairerweise muss ich dazu sagen, dass es möglich ist, dass der Name der Kolumne nicht von Herrn Hull gewählt worden ist.
Ganz allgemein kann diese Kolumne allein durch ihr Format frustrieren, da sie mehr als ganz kurzer Kommentar zu den einzelnen Tänzen anzusehen sind - wenn denn alle Tänze überhaupt angesprochen werden. So ergibt sich dann auch leider selten ein tieferer Einblick in die Charakteristik eines Tanzes, den ein Kandidat nun erfolgreich dargestellt hat oder nicht. Trotzdem ergaben sich einige interessante Bemerkungen.

So kommentiert er am 30.04.16 zum Beispiel die Bewertung für Ulli Potofski mit den Worten: "Llambis Quatsch wird immer 'quätscher'!". Allein sprachlich ist dieser Satz fürchterlich und sollte Schmerzensgeldansprüche berechtigen. Allerdings kann ich mir auch inhaltlich ein spöttisches Lächeln nicht unterdrücken. Was war der Kontext? Ulli Potofski "tanzte" in der siebten Sendung eine Samba, zeigte aber immer noch keine nennenswerten Verbesserungen, sodass selbst die gnädigen Juroren González und Mabuse gerade mal einen Punkt verliehen, obwohl sie ihm sonst zwei bis drei gaben. Nun hatte sich Ulli mit Herrn Llambi aber auf eines verständigt: Der MSV Duisburg3 habe sein letztes Spiel gewonnen, dafür solle er dann zwei Punkte verdienen, bei einem verhinderten Abstieg drei. Dem stimmte der harte Juror zu. So kam es zu der absurden Situation, in der Ulli den Tiefrekord von vier Punkte und die meisten dazu vom strengen Herrn Llambi erhielt. Also handelt es sich dabei gar nicht um ein falsches Verhältnis von Bewertung und Leistung, sondern um ein Einverständnis, das zu einem der besten Momente der gesamten Staffel geführt hat, in dem selbst Herr Llambi einmal den tosenden Applaus entgegennehmen konnte. So kann man es zumindest sehen. Humorlose Menschen kommentieren das mit einem grausigen "Wortspiel".

Das nächste fällt in die Kategorie des berühmten Glashauses, in dem man nicht mit Steinen werfen sollte. Die Einführung zur Kolumne (welche wiederum nicht von Hull geschrieben worden sein muss) liest sich in etwa so: "Bei „Let‘s Dance 2016“ punktet Juror Llambi mit Pointen. Aber liegt er wirklich immer richtig?" Aus meiner Sicht sollte man es bei solch einer Einleitung vermeiden, selbst versuchen mit Pointen zu punkten. Genau das versucht er aber am 07.05.16 (zumindest hoffe ich inständig auf eine Pointe, denn ernst gemeint hat er das hoffentlich nicht). Hier wirft er Julius Brink vor, zu hoch bewertet worden zu sein, denn eigentlich sei seine Leistung noch unter der Ulli Potofski anzusiedeln. Als Kontext sei gesagt, dass Ulli für seinen Rock'n'Roll genau drei Punkte bekam und Julius als Premiere einen Lindy Hop tanzte, bei dem selbst seine Profitanzpartnerin Ekaterina Leonova ein wenig überfragt gewesen zu sein schien. Vergleichbar waren diese Tänze überhaupt nicht, denn Ulli hat in dieser Sendung meist neben angesessen und Vadim Gabuzov, einem weiteren Profitänzer, die meiste Arbeit machen lassen. Als guter Spruch kommt das nichtsdestoweniger bestimmt gut.

Am 23.04.16 kommentiert Michael Hull Llambis Verhalten am Jurorenpult, da er sich mit Frau Mabuse auf eine Auseinandersetzung eingelassen hat, was auch davor und danach hin und wieder mal passierte. Übrigens unterschlägt Michael Hull völlig, dass die Diskussion von Frau Mabuse ausging. So nimmt er sie in Schutz, da sie als mehrfache deutsche Meisterin ja wisse, was sie sage. Nun, denken wir das mal weiter. Folgendes kann Herr Llambi auf seinem Konto verbuchen:
Zu seiner aktiven Zeit war er der einzige, der in allen drei Sektionen (Standard, Latein, 10 Tänze) im Finale einer Deutschen Meisterschaft stand. Nach Beendigung seiner aktiven Laufbahn ist er als Wertungsrichter im Profi- und Amateurverband tätig. Neben vielen nationalen Turnieren, wertet er Welt- und Europameisterschaften.4
Klingt fast so, als wisse auch er, wovon er da redet. Natürlich würde dieses Eingeständnis die gesamte Kolumne ad absurdum führen. Es ist einfach bezeichnend, wie blind man sein kann. Einer Person zu verbieten, andere zu kritisieren, jedoch mit einer Begründung, die verhindern sollte, das man die eben noch kritisierte Person selbst kritisieren darf.

Der letzte Punkt ist für mich einfach nur amüsant. Am 28.05.16 stellt Michael Hull die Frage, ob die Jury Jana Pallaske absichtlich Punkte wegnehme. Nebulös bezieht er sich auf seine eigene Zeit bei Let's Dance, trotzdem halte ich den Vorwurf für sehr gewagt. Ich frage mich aber, wie er überhaupt auf die Idee kommt, ich persönlich habe mich eher gefragt, warum sie so viele bekommt, aber das nur am Rande. In den zwei Wochen davor erhielt sie 57 und 58 von 60 möglichen Punkten und ihr Durchschnitt betrug auf die gesamte Staffel gesehen 27,33 von 30 Punkten pro Tanz. Viel mehr kann man eigentlich nicht geben! Vom Tatbestand kann der Vorwurf schon gar nicht greifen, aber die Begründung dafür ist noch besser. Angeblich solle damit der Zuschaue angespornt werden, für sie anzurufen. Das ist aber gehörig nach hinten losgegangen: Im Halbfinale musste sie bereits zittern und trotz der besseren Leistung landete sie im Finale noch hinter Sarah Lombardi auf Platz drei.

Neben der Sendung selbst war es also eine schöne Reise, diese Kolumne Woche für Woche zu lesen. Frustrierend war für mich immer nur die Kürze der Kommentare und teilweise auch die Auswahl der diskutierten Tänzer. Wenn ein Tänzer tatsächlich 30 Punkte erhalten hat, sollte man da nicht über sie reden? Aber gerade in den letzten Kolumnen fällt Victoria Swarovski irgendwie nicht auf. Dabei hat sie einige der besten Tänze der Staffel getanzt, beispielsweise ihren Tango, den Quickstep und vor allem ihr Paso Doble.


1Am Rande soll erwähnt sein, dass ich die letzte Staffel verpasst habe, da mir nicht bewusst war, dass die Polen pro Jahr zwei produzieren.
2Ich sollte auf eines hinweisen: Man kann leider nur fünf Artikel pro Monat betrachten.
3Dabei handelt es sich um Llambis Lieblingsmannschaft.
4http://www.workshopfestival.de/bremen/trainer/standardLatein.html

Dienstag, 7. Juni 2016

Der 100. Katholikentag (II)

26. Mai 2016: Ein Tag mit entspanntem Programm

Durch meine Erfahrung mit vorangegangen Kirchentagen habe ich dieses Mal eines beherzigt: Nicht zu viele Veranstaltungen planen, flexibel sein und zu beachten, möglichst kurze Wegstrecken zwischen den verschiedenen Veranstaltungsorten vorliegen zu haben. So habe ich mir bewusst Zeit genommen, um in Ruhe die Katholikentagsmeile zu besuchen. Zuerst begann der Tag natürlich mit einem Gottesdienst. Meine Gruppe entschied sich für den Familiengottesdienst in der Propsteikirche St. Trinitatis. Da ich jetzt nicht unbedingt für die Messe im Freien war, war mir das recht. Im Moment bin ich in Münster ohnehin durch den außerordentlichen Ritus verwöhnt, insofern stellte ich auch keine allzu großen Ansprüche.
Die Kirche selbst hat zwar das ein oder andere interessante architektonische Detail, aber allzu imposant fand ich sie  jetzt nicht. Die Atmosphäre hat auf jeden Fall für ein Rosenkranzgebet ausgereicht. Die Messe hatte dann auch nur eine Stelle, die mich alles andere als begeisterte1, war aber im Großen und Ganzen ordentlich gefeiert, obwohl die für Fronleichnam typische Prozession fehlte.
Bis zum Nachmittag hatte ich keine Veranstaltung, sodass ein ungestörter Aufenthalt auf der Kirchenmeile möglich war. Von der ist mir wenig in Erinnerung geblieben. Lediglich die katholischen Orden stachen ein wenig hervor, da sich diese wirklich vorstellen wollten und eben nicht allgemeine Themen aufgriffen, wie es bei sämtlichen Bistümern der Fall war. Trotzdem konnte man dort sicherlich ein wenig schöne Zeit verbringen.
So blieb aber noch genug Zeit für etwas anderes. Anders, als ich es andernorts gelesen habe, wurde sehr wohl eine eucharistische Anbetung angeboten, und zwar von 12.00-20.30 Uhr in der Alojs-Andritzki-Kapelle. Zugegebenermaßen ist diese kleine Kapelle etwas abseits, aber immer noch sehr einfach von der Innenstadt aus zu erreichen. Die stillen Minuten in der Kapelle gehören für mich zu den schönsten Momenten des Katholikentages, unter anderem auch deswegen, weil meine Heimatgemeinde generell keine eucharistische Anbetung anbietet.
Erst nach einiger Zeit musste ich mich zu einem Vortrag zum Thema "Ignatianische Exerzitien - ein Weg zur Freiheit". In einem vollgepackten Raum konnte der mit dezent schweizerischem Akzent redende Jesuit einen wundervollen Überblick über die von Ignatius von Loyola entwickelte Form der Exerzitien geben. Dabei gab es einen Rundumschlag zum Leben des Heiligen und dazu, was diese Form der Selbsterkenntnis von anderen Formen unterscheidet, wodurch gerade der christliche Gehalt der kontemplativen Meditation herausgestellt wurde. Selbst die kleinsten Anmerkungen zu Bibelstellen sog man förmlich auf, um auch ja nichts zu verpassen.
Nach solch einer intensiven Veranstaltung war ich doch recht froh, den Abend nicht verplant zu haben.


1An dieser wurden auf Zettel Gebetsanliegen geschrieben. Daraufhin sollten diese zu Papierfliegern gefaltet und nach vorne zum Altar geworfen werden. Nette Idee - aber lasst so etwas bitte aus der Messe raus. Wobei ich eh für Familien- und Jugendgottesdienste einfach zu konservativ bin.

Sonntag, 5. Juni 2016

Zitat am Sonntag

"Die Mühe ist das Gute" - gegen diese Meinung hat Thomas von Aquin in der Summa theologica die These gesetzt: "Das Wesen der Tugend liegt mehr im Guten als im Schweren"; "nicht also muss alles, was schwerer ist, auch verdienstlicher sein, sondern es muss auf solche Weise schwerer sein, dass es zugleich auch auf höhere Weise gut ist". Das Mittelalter hat von der Tugend etwas gesagt, das uns Landsleuten Kants nur schwer eingeht: Sie setze uns in den Stand, unserer natürlichen Neigung - Herr zu werden? Nein, so würde Kant formulieren; und uns allen liegt dieser Gedanke nahe. Nein, Thomas sagt: die Tugend vervollkommne uns dahin, unserer natürlichen Neigung zu folgen, auf die rechte Weise. Ja, die höchsten Verwirklichungen des Sittlich-Guten seien dadurch gekennzeichnet, dass sie mühelos gelängen - weil es zu ihrem Wesen gehöre, aus der Liebe hervorzugehen. Aber selbst bis in den Begriff der Liebe hinein ist jene Überwertung der Mühe und des Schweren noch wirksam.
Josef Pieper, Muße und Kult S.68f

Donnerstag, 2. Juni 2016

Der 100. Katholikentag (I)

oder: mein Katholikentag in fünf Etappen

25. Mai 2016: Anreise und die Eröffnung

Irgendein weiser Autor wird bestimmt einmal geschrieben haben, dass man eine natürliche Gliederung annehmen und verwenden soll. Wenn es keiner geschrieben hat, dann sei's drum: Ich mach's trotzdem und teile diesen Beitrag in fünf Teile oder Etappen.
Nachdem ich bereits den Ökumenischen Kirchentag 2010 in München und den Katholikentag 2014 in Regensburg besuchte, wollte ich es mir nicht nehmen lassen, auch in Leipzig dabei zu sein.
Inhaltlich passiert am Eröffnungstag natürlich nicht viel, die Leute müssen ja erst einmal den Veranstaltungsort erreichen. So gibt es auch wenig zu erzählen, doch drei Eindrücke zur Eröffnungsfeier möchte ich teilen.
Die musikalische Gestaltung, unter anderem durch die "Gospel Changes" organisiert, hat zwar grundsätzlich die Lieder des Katholikentag-Medleys gut interpretiert und auch etwas aus dem Titellied "Seht, da ist der Mensch" (dem ich textlich ansonsten nicht viel abgewinnen konnte) gemacht, aber zwei Lieder hat sie mir ein klein wenig kaputt gemacht. "Weite Räume meinen Füßen" und "Wenn wir das Leben teilen" gehören eigentlich zu den Liedern, die ich gerne höre. Das gilt jedoch nicht, wenn daraus eine Jazz-Pop-Variante1 gemacht wird. Beide Lieder leben von einer grundsätzlich eher meditativ ausgerichteten Stimmung. Mitsingen wollte ich so bei weitem nicht.2
Überrascht hat mich hingegen der als "Ein musikalisches Geschenk" betitelte Beitrag: "Jauchzet dem Herrn, alle Welt" nach Felix Mendelssohn Bartholdy. Wunderbar gesungen, besinnlich, zum Beten anregend. Bei weitem der Höhepunkt des Abends. Deswegen hätte ich mir auch gewünscht, den Beitrag ans Ende der Veranstaltung gesetzt zu sehen, um mit diesem Hochgefühl den Abend der Begegnung zu beginnen.
Da ich es versäumt habe, mir das folgende Ereignis in meinem Tagebuch zu notieren, muss ich jetzt in etwas vage Beschreibungen verfallen. Die ganze Veranstaltung gab es durchweg Applaus und das Publikum schien vorne bei den Sprechern größtenteils zuzustimmen. Nur eine Stelle fiel dabei völlig aus dem Rahmen. Einer der Sprecher (ich kann leider beim besten Willen nicht mehr rekonstruieren, wer das gewesen sein müsste) ließ den Satz fallen: "Die Leute sollen sehen, dass wir nicht nur sonntags beten." Anstelle des sonst auftretenden Anstandsapplaus, oder gar eines Jubels, breitete sich eine Stille über den Platz, als stimme man der Aussage nicht zu. Ich kann immer noch keine Interpretation für diesen Moment liefern, aber auffällig war es auf alle Fälle.
Ansonsten bot dieser Tag nur die üblichen Eindrücke einer größeren Veranstaltung: Reise, Schlafplatz finden und in Anspruch nehmen, etc. Diese sind natürlich nicht allzu relevant für ein Ereignis, das sich Katholikentag nennt. Also gehen wir schon zur nächsten Etappe über.
Ich finde es sehr kulant von den Leipzigern,
extra für den Katholikentag ihre Ampeln
anzupassen.  Hier sieht man das grüne
Männchen, das offensichtlich ein Messbuch
 durch die Gegend trägt
Und bei der roten Ampel gibt es sogar
 den Gekreuzigten zu sehen.


























1Der Autor übernimmt für die getätigte Einreihung keinerlei Gewähr.
2Wobei die "Schuld" da auch bei mir liegen kann. Wenn man sich mal Versionen bei Youtube anhört, klingen die ähnlich, wie am beschriebenen Abend. Die mir bekannte Version gefällt trotzdem besser.

Dienstag, 31. Mai 2016

Hymn

Zum Ausklang des Marienmonats Mai hier ein Gedicht von Edgar Allan Poe in meiner eigenen Übersetzung:
Morgens, mittags, im Dämmern stet,
Maria!, hörtest du mein Gebet!
Bei Freud und Pech, bei Glück und Joch,
Mutter Gottes, bleib bei mir noch!
Stund um Stund flog scheinend vorbei,
kei' Wolk' deckt den Himmel dabei,
Mein' Seel', sonst lässig sie sollt sein,
Dein' Gnad' führt zu dir und dein.
Nun, wenn der Sturm des Schicksals bricht
Dunkel über mich und mei' Geschicht,
Lass meine Zukunft strahlend schein',
Mit süßer Hoffnung von dir und dein!

Das - viel bessere - Original möchte ich natürlich dem Leser nicht vorenthalten:
At morn, - at noon, - at twilight dim,
Maria! thou hast heard my hymn!
In joy and woo - in good and ill -
Mother of God, be with me still!
When the hours flew brightly by,
And not a cloud obscured the sky,
 My soul, lest it should truant be,
Thy Grace did guide to thine and thee.
now, when storms of fate o'ercast
Darkly my present and my past,
Let my Future radiant shine,
With sweet hopes of thee and thine!

Sonntag, 29. Mai 2016

Zitat am Sonntag

From Salerno come many of the traditions of the conferring of degrees which are still used in a large number of modern medical schools. Before receiving his degree, the candidate had to take an oath, of which the following were the principal tenets: "Not to contradict the teaching of his college, not to teach what was false or lying, and not to receive fees from the poor even though they were offered; to commend the sacrament of penance to his patients, to make no dishonest agreement with the druggists, to administer no abortifacient to the pregnant, and to prescribe no medicament that was poisonous to human bodies.
James J. Walsh, Medieval Medicine, Chapter 3, p. 15

Sonntag, 22. Mai 2016

Zitat am Sonntag

Hundert Schlachten zu schlagen und hundert Siege zu erringen, ist nicht ein Zeichen von Perfektion. Wer den Feind ohne Schlacht besiegt, versteht sich wirklich auf die Kriegführung.
Sun-Tzu, Die Kunst des Krieges

Sonntag, 15. Mai 2016

Zitat am Sonntag

Ja, aber das werde ich nie tun, weil Schuld und Sühne, das ist schon das Werk eines anderen. Man redet oft über die Regisseure in Hollywood, die literarischen Meisterwerke verunstalten. Ich habe nicht die Absicht, je so etwas zu tun. Ich lese eine Geschichte nur einmal. Wenn mir die Grundidee zusagt, übernehme ich sie, ich vergesse das Buch vollkommen und mache Kino. Ich wäre völlig  außerstand, Ihnen die Geschichte von The Birds von Daphne du Maurier zu erzählen. Ich habe sie nur einmal, ganz schnell, gelesen. Was ich nicht verstehe, ist, dass jemandsich eines Werkes total bemächtigt, eines guten Romans, an dem ein Autor drei oder vier Jahre geschrieben hat und in dem sein ganzes Leben steckt. Man fummelt daran herum, verschreibt sich ein paar erstklassige Techniker, und schon ist man Kandidat für einen Oscar, während der Autor im Hintergrund verschwindet. An ihn denkt keiner mehr.
- Francois Truffaut, Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?, S. 60

Sonntag, 8. Mai 2016

Zitat am Sonntag

Ich glaube, dieses Zusammentreffen stört unsere Freunde, die Wahrscheinlichkeitskrämer. Es geht nicht um eine Unwahrscheinlichkeit, sondern um eine außergewöhnliche Situation. Sie ist der Gipfel an Außergewöhnlichem.
Es gehört in die Kategorie "altmodische Situationen" oder "veraltete Geschichten". Ich möchte Ihnen dazu eine Frage stellen: Weshalb ist es veraltet, eine Geschichte zu erzählen, eine Handlung zu verwenden? Ich glaube, an den französischen Filmen gibt es gar keine Handlung mehr.
Das ist kein Prinzip, aber es ist eine Tendenz, die man der Entwicklung des Publikums zuschreiben kann, dem Einfluss des Fernsehens, dem zunehmenden Übergewicht an dokumentarischen und journalistischen Stoffen in der Unterhaltungsindustrie. Alles das entfernt die Leute von der Fiktion und macht sie misstrauisch den alten Formeln gegenüber.
Das heißt, die Kommunikationsmittel haben sich derart entwickelt, dass wir dazu neigen, uns von der Handlung zu entfernen? Das mag sein, Ich bin selbst davon nicht frei, und ich würde heute auch einen Film lieber auf einer Situation als auf einer Geschichte aufbauen. 
- Francois Truffaut, Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?, S. 199f

Sonntag, 1. Mai 2016

Zitat am Sonntag

Während sich dies und anderes zutrug..., ward Abraham durch das Gebot, seinen heißgeliebten Sohn Isaak zu opfern, versucht... Als wessen Gleichnis? Nun dessen, den der Apostel in den Worten nennt: "Welcher auch seines eigenen Sohnes nicht hat verschonet, sondern ihn für uns alle dahingegeben" Darum mußte auch Isaak, wie der Herr sein Kreuz, selbst das Holz, auf das er gelegt werden sollte, zur Opferstätte tragen. Endlich ein letzter bezeichnender Zug.Was hatte, als Isaak nicht getötet werden sollte und der erhobene Arm des Vaters zurückgehalten wurde, jener Widder zu bedeuten durch dessen Schlachtung und sinnbildlich vergossenes Blut das Opfer vollendet ward? Als Abraham ihn sah, hing er mit den Hörnern in einem Dornstrauche. Wen anders also bildete er ab als Jesus, den die Juden vor seiner Opferung mit Dornen krönten? ... Und der Engel des Herrn rief Abraham abermals vom Himmel und sprach: "Ich habe bei mir selbst geschworen, spricht der Herr, weil du solches getan hast und hast deines geliebten Sohnes nicht verschont um meinetwillen, will ich dich wahrlich segnen und deinen Samen mehren wie die Sterne am Himmel und wie den Sand am Ufer des Meeres, und dein Same soll besitzen die Städte seiner Feinde und durch deinen Samen sollen gesegnet werden alle Völker auf Erden, weil du meier Stimme gehorcht hast." So ward jene Verheißung, im Samen Abrahams würden die Heidenvölker berufen werden, nach dem auf Christus hinweisenden Opfer auch noch durch einen Schwur Gottes bekräftigt.
Augustinus, Hans Urs von Balthasar (Hrsg.), Der Gottesstaat S.138

Sonntag, 24. April 2016

Zitat am Sonntag

So darf man nicht sagen, daß , wenn Gute und Böse dasselbe Schicksal trifft, darum zwischen ihnen kein Unterschied sei, weil in ihrem Ergehen vielleicht kein Unterschied zu finden ist. Bei aller Gleichheit der Leiden bleiben die Leidenden doch ungleich, und mag auch die Plage dieselbe sein, sind doch Standhaftigkeit und Haltlosigkeit nicht dasselbe... Darum schmähen  und lästern die Bösen Gott in derselben Trübsal, in der die Guten ihn anrufen und preisen. Nicht was, sondern wie jeder leidet, darauf kommt es vor allem an. Denn vom gleichen Lufthauch berührt, läßt der Kot abscheulichen Geruch, das Salböl lieblichen Duft aufsteigen.
Augustinus, Hans Urs von Balthasar (Hrsg.), Der Gottesstaat S. 108

Sonntag, 17. April 2016

Zitat am Sonntag

Only neither the villein nor the farm labourer did starve. It has never been an economic proposition for an owner of cattle to starve his cows, so why should an owner of slaves starve them?
T.H. White, The Sword in the Stone, p. 227

Sonntag, 10. April 2016

Zitat am Sonntag

Alles das war aber nicht der einzige Gewinn, den Perikles aus dem Umgang mit Anaxagoras zog. Wahrscheinlich lernte er auch von ihm, sich über jeden Aberglauben hinwegzusetzen, durch den bei Himmelserscheinungen so viele in Angst und Schrecken versetzt werden, weil ihnen die Ursachen unbekannt sind. Diese Unwissenheit ist schuld daran, dass man vor den höheren Gewalten so zittert und bangt. Davon befreit uns die Kenntnis der Natur, un zugleich begründet sie in uns, statt des törichten Aberglaubens, eine auf  Vertrauen ruhende Gottesfurcht. [...]
Mir scheint übrigens, dass beide, der Naturforscher wie der Wahrsager, recht haben konnten, da der eine die Ursache des Wunderzeichens, der andere aber dessen Bedeutung richtig angegeben hatte. Der Forscher hatte das Woher und Wieso, der Deuter Zweck und Sinn der Erscheinung zu untersuchen. Wer behauptet, dass die Auffindung der Ursache zugleich die Bedeutung aufhebt, bedenkt nicht, dass er mit den göttlichen Zeichen zugleich auch die künstlichen, von  Menschen ersonnenen Zeichen Zeichen außer Wirkung setzt, wie zum Beispiel die Lichter von Feuersignalen, die Schatten der Sonnenuhren und dergleichen, alles Dinge, die eine bestimmt Ursache haben und dabei mit Absicht verfertigt sind, um irgend etwas zu bedeuten. 
- Plutarch, Große Griechen und Römer - Perikles

Sonntag, 3. April 2016

Zitat am Sonntag

Der König! Ich glaubte, er sei Philosoph genug, um zu begreifen, dass es in der Politik keinen Mord gibt. In der Politik, mein Lieber, Sie wissen es so gut wie ich, gibt es keine Menschen, sondern Ideen, keine Gefühle, sondern Interessen. In der Politik tötet man nicht einen Menschen, man beseitigt ein Hindernis, weiter nichts.

-  Alexandre Dumas, Der Graf von Monte Christo, S.127

Sonntag, 27. März 2016

Zitat am Sonntag

What in the twentieth century perhaps comes closest to the working-class revolution were the events in Poland of 1980-81: the revolutionary movement of industrial workers (very strongly supported by the intelligentsia) against the exploiters, i.e., the state. ANd this solitary example of a working-class revolution (if indeed it may be counted as such) was directed against a socialist state, and carried out under the sign of the cross with the blessing of the Pope.[...]
As for the so-called materialist interpretation of history, it has provide us with a number of interesting insights and suggestions, but it has no explanatory value. In its strong, rigid version, for which there is considerable support in many classic texts, it implies that social development depends entirely on the class struggle, which ultimately, through the intermediary of changing 'modes of production,' is determined by the technological level of the society in question. It implies, moreover, that law, religion, philosophy and other elements of culture have no history of their own, since their history is the history of the realtions of production. This is an absurd claim, completely lacking in historical grounds.
If, on the other hand, the theory is taken in a weak, limited sense, it merely says that the history of social struggles and conflicting interests, and that political institutions depend in part, at least negatively, on technological development and on social conflicts. This, however, is an uncontroversial  platitude which was known long before Marx. THus the materialist interpretation of history is either nonsens or a platitude.
Leszek Kołakowski, What is Left of Socialism, zitiert aus Kołakowski, Is God Happy?, S.65ff

Sonntag, 20. März 2016

Zitat am Sonntag

Seit der Enzyklika "Pascendi dominici gregis" von 1907, die dem "Modernismus" den Kampf angesagt hatte - "De falsis doctrinis modernistarum" -, waren "Modernismus" und Antimodernismus" zu Feldstandarten einer Geisterschlacht nicht nur im Katholizismus geworden. Den Antimodernisten ging es nicht einfach darum, die kirchlichen Dogmen(z.B. die "Unbefleckte Empfängnis") und die Prinzipien der klerikalen Hierarchie (z.B. die Unfehlbarkeit des Papstes) zu verteidigen. So haben es ihre Gegner gerne dargestellt und deshalb im Antimodernismus nichts anderes gesehen als eine gefährliche oder gar lächerliche Verschwörung von Dunkelmännern gegen den wissenschaftlichen Geist der Zeit, gegen Aufklärung, Humanismus und Fortschrittsideen jeglicher Art.
Doch daß man Antimodernist sein konnte, ohne zum Obskuranten werden zu müssen, zeigt das Beispiel Carl Braig - ein scharfsinniger Kopf, der die unreflektierten Glaubensvoraussetzungen in den verschiedenen Spielarten der modernen Wissenschaftlichkeit aufdeckte; was sich glaubenslos und voraussetzungslos dünkte, das wollte er aus seinem "dogmatischen Schlummer" aufwecken. Die sogenannten Agnostiker, sagte er, haben auch einen Glauben, allerdings einen besonders primitiven und hausbackenen: den Glauben an den Fortschritt, an die Wissenschaft, an die biologische Evolution, die es angeblich so gut mit uns meint, an ökonomische und historische Gesetze... Der Modernismus sei, so Braig, "geblendet für alle, was nicht sein Selbst ist oder nicht seinem Selbst dient", die Autonomie des Subjektes sei zu einem selbstgezimmerten Gefängnis geworden. Braig kritisiert an der modernen Zivilisation die mangelnde Ehrfurcht vor dem unausschöpflichen Geheimnis einer Wikrlichkeit, deren Teil wir sind und die uns umgreift. Wenn der Mensch sich anmaßend in den Mittelpunkt stellt, so bleibt ihm am Ende nur noch ein pragmatisches Verhältnis zur Wahrheit: 'Wahr' ist, was uns nützt und womit wir praktischen Erfolg haben. Dagegen nun Braig: "Die geschichtliche Wahrheit, wie alle Wahrheit - am siegreichsten leuchtet hier die mathematische Wahrheit auf, die strengste Form der weigen Wahrheit - ist vor dem subjektiven Ich und ohne dasselbe... So wie das Ich der Vernunft die Vernünftigkeit der Dinge insgesamt ansieht, so sind sie nicht in der Wahrheit... und kein Kant ... wird das Gesetz abändern, das dem Menschen gebietet, sich nach den Dingen zu richten."

Rüdiger Safranski, Ein Meister aus Deutschland - Heidegger und seine Zeit, S30f

Montag, 14. März 2016

Ethik2go

Lang ist's her, dass ich zum letzten Mal - abgesehen von den Zitaten am Sonntag - auf diesem Blog etwas veröffentlichte. Im Grunde blieb es anderthalb Monate still auf diesem Blog, was natürlich nicht sein darf. Verschiedenstes hat mich abgehalten, aber jetzt möchte ich doch wieder regelmäßig schreiben. So folgt jetzt auch keine Rezension, wovon nicht wenige noch ausstehen, sondern ein Kommentar, der mir schon etwas länger auf den Fingernägeln brennt.

Ungefähr Ende Januar stieß ich das erste Mal auf eine neue Serie von katholisch.de mit dem Namen Ethik2go. Natürlich tut es mir Leid, dass mein erster Post nach langer Funkstille ein kritischer sein muss, aber ich kann es auch nicht ändern.1 Die grundsätzliche Idee ist dabei gar nicht einmal schlecht. In den kurzen Videos - zwei bis vier Minuten - werden ethische Fragen behandelt. Doch stellte ich mir gleich zu Beginn einige Fragen. Erstens: Warum wird ein Philosophieprofessor hinzugezogen und kein, wie es sich bei einer katholischen Internetseite schließlich anbieten würde, Moraltheologe? Das ist nicht zwingend ein Argument gegen die Qualität der Serie, ich habe mich lediglich über diesen Fakt gewundert.

Viel bedeutender scheint mir die hauptsächliche Schwäche der Idee zu sein: Es werden in ihr konkrete Fragen behandelt. Dem ein oder anderen mag das schlüssig erscheinen, jedoch ergeben sich daraus verschiedene Probleme. Um eine gute Ethik präsentieren zu können, benötige ich entsprechend gute Grundlagen. Erst dann kann man zu nachvollziehbaren und auch nützlichen Schlussfolgerungen gelangen. Daran krankt beispielsweise ja auch der Utilitarismus, da er zwar für einige Dilemmata Handlungsfäden anbietet, letztendlich aber keine begründende Grundlage dafür bietet. Gerade bei einem Philosophieprofessor ist man auch erst einmal versucht zu fragen: Welchem Philosophen folgen Sie? Ob diese Personen nun eher Kant oder Aristoteles in ihrer Ethik zitieren wirkt sich merklich auf ihre Argumentation aus.

So ergeben sich schnell zwei Schwächen des "to go"-Prinzips: Anstatt dem Zuschauer Prinzipien an die Hand zu geben, mit denen er sich selbst zu mannigfaltigen Themen Einstellungen bilden kann, macht man ihn davon abhängig, die teilweise recht ambivalenten Aussagen des Professors für bare Münze zu nehmen. Weiterhin werden komplexe Themen, wie zum Beispiel das der Organspende, in absurd kurzer Zeit abgearbeitet werden, sodass man maximal ein kurzen Einblick in ein Thema bekommt, worin man sich weiter einlesen müsste - konkrete Hilfe ist das dann aber widerrum nicht.

Damit entstehen dann auch Phrasen, die aus meiner Sicht nicht genügend begründet werden, oder auch Sätze, deren Inhalt, wie im aktuellen Beitrag zu Organspende, man eher mit einem Kopfschütteln begegnet. Auch erinnere ich mich an ein Video aus dem Januar - es kann sein, dass die Videos nur eine entsprechend kurze Zeit gespeichert werden, zumindest fand ich das entsprechende Video nicht mehr -, in dem er unterschiedliche philosophische Traditionen danach unterschied, ob sie ihre Ethik auf Vernunft oder Emotion basieren. Dies bleibt als abstrakte Aussage stehen, sodass dem Zuschauer nicht einmal die Möglichkeit gegeben wird, sich weiter über diese Richtungen zu informieren. Vielmehr ist mir dabei aufgefallen - ich sage direkt im Voraus, dass ich ein Laie in diesem Gebiet und dem Irrtum damit auch schnell ergeben bin -, dass in meiner Erfahrung eigentlich keine philosophische Tradition existiert, die tatsächlich die Vernunft für die Emotion aufgegeben hätte. Ich kenne diese Dichotomie zwar - von den verschiedenen Strömungen der (deutschen) Literatur: die Aufklärung betonte die Vernunft, der Sturm und Drang die Emotionen, die Klassik wieder die Vernunft, die Romantiker wieder die Emotionen (stark vereinfacht, wohl gemerkt). Wo sich das jetzt genau in der Philosophie wiederspiegelt, wäre mir schleierhaft.


1Anstatt ständig Entschuldigungen anzubieten, sollte ich wohl einfach mal zum  Text kommen, oder?

Sonntag, 13. März 2016

Zitat am Sonntag

Gerne dien ich den Freunden,
doch tue ich es leider mit Neigung,
Und so wurmt es mir oft, daß ich nicht tugendhaft bin.
Da ist kein anderer Rat, du mußt suchen sie zu verachten,
Und mit Abscheu alsdann tun, wie die Pflicht dir gebeut.
Friedrich von Schiller über die Moralphilosophie Kants

Sonntag, 6. März 2016

Zitat am Sonntag

Aber wie eigenartig: Das Bewusstsein, das vorn der Freiheit eine Gasse bahnen will, betreibt hintenherum eine Art Freiheitsberaubung im großen Stil. Das Bewusstsein, das Freiheit will, scheint so genau wie nie zuvor darüber Bescheid zu wissen, von welchen gesellschaftlichen oder natürlichen Bestimmungsgründen das vermeintlich freie, spontane Handeln umzingelt ist. Das ist Modernität: Freiheitsverlangen und zugleich das Wissen um ein notwendiges Sein, wie es die Wissenschaften uns vorhalten; eine eigenartige Melange aus naiver Spontaneität und illusionslosem Zynismus. Die Zangenbewegung von Soziologie und Psychoanalyse beispielsweise lässt eigentlich keinen Raum mehr für Freiheit, in der Selbstinterpretation erscheinen wir als ökonomische Charaktermaske , als soziale Rolle und als Triebnatur - eine unaufhörliche Blamage für jedes Freiheitsbewusstsein. Trotzdem bleibt das Freiheitsverlangern lebendig, gerade auch bei denen, die sich gut darauf verstehen, ihre Spontaneität soziologisch und psychoanalytisch zu "hinterfragen". Vielleicht hängt das damit zusammen , dass das Freiheitsverlagnen den Mut und die Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen, übersteigt. Man will die Freiheit, alles mögliche zu tun, frei Bahn für die Bedürfnisbefriedigung, aber wenn es schlecht läuft, wenn es gilt, Folgelasten zu tragen, dann hat die diskursive Freiheitsberaubung ihre große Stunde: Man kann erklären , dass es so hat kommen müssen, und ist die Verantwortung los. Die entwickelte Kultur des Erklären-Könnens operiert in einer bedenklichen Grauzone: Die Übergänge vom Erklären zum Entschuldigen sind fließend. Man kann das nachträgliche Erklären-Können sogar schon an den Beginn einer Handlung setzen im Sinne einer präventiven Absolution für den schlechten Fall. Man antizipiert ihn und bereitet sich schon darauf vor, "es nicht gewesen zu sein".
Rüdiger Safranski, Schopenhauer und die wilden Jahre der Philosophie, S. 456f

Sonntag, 28. Februar 2016

Zitat am Sonntag

Ich wuste, dass es eine Quelle war, weil man auf dem Grund das Wasser hervorsprudeln sah, aber sie war viel größer, als Quellen sonst sind. Sie war wie ein sehr großes rundes Bad, zu dem Marmorstufen hinunterführten. Das Wasser war glasklar und ich dachte, wenn ich hineingehen und baden würde, dann würde das den Schmerz in meinem Bein vielleciht ein wenig lindern. Aber der Löwe sagte mir, ich müsse mich zuerst ausziehen. Ich weiß nicht, ob er die Worte aussprach oder nicht.
Ich wollte gerade sagen, ich könne mich nihct ausziehen, weil ich keine Kleider anhätte, als mir plötzlich einfiel, dass Drachen schlangenartige Lebewesen sind und dass Schlangen ihre Haut abwerfen können. Natürlich, dachte ich, das ist es, was der Löwe gemeint hat. Deshalb fing ich an mich zu kratzen und überall begannen die Schuppen abzugehen. Und dann kratzte ich ein wenig tiefer und statt der Schuppen ging plötzlich die ganze Haut ab, wie nach einer Krankheit oder wie bein einer Banane. Nach ein oder zwei Minuten stieg ich einfach aus der Haut heraus. Ich konnte sie neben mir liegen sehen. Sie sah ziemlich ekelhaft aus. Es war ein herrliches Gefühl. Ich ging hinunter in die Quelle um zu baden.
Aber gerade als ich meine Füße ins Wasser stellen wollte, blickte ich nach unten und sah, dass sie so hart und rau und faltig und schuppig waren wie zuvor. Oh, das macht nichts, sagte ich mir. Das bedeutet nur, dass ich darunter noch einen kleineren Anzug anhabe und dass ich den auch noch ausziehen muss. So kratzte und riss ich also noch einmal und auch diese zweite Haut ging ausgezeichnet ab. Ich stieg heraus und legte sie neben die andere und ging zur Quelle hinunter zu meinem Bad.
Aber genau dasselbe passierte wieder. Und ich dachte mir, meine Güte, wie viee Häute muss ich wohl noch ausziehen? Denn ich konnte es kaum erwarten, mir die Beine zu baden. Deshalb kratzte ich ein drittes Mal und riss eine dritte Haut ab, genau wie die beiden anderen, und stieg aus ihr heraus. Aber als ich mich im Wasser anschaute, wusste ich , dass es keinen Zweck gehabt hatte.
Dann sagte der Löwe - aber ich weiß nicht, ober tatsächlich redete: 'Ich werde dich ausziehen müssen.' Ich hatte ziemliche Angst vor seinen Tatzen, das kann ich dir sagen, aber ich war inzwischen völlig verzweifelt. Deshalb legte ich mich einfach flach auf den Rücken und ließ ihn machen .
Der erste Riss war so tief, dass ich dachte er ginge bis ins Herz. Und als er begann mir die Haut abzuziehen, da schmerzte es schlimmer als alles, was ich jemals gespürt habe. Ich konnte es nur deshalb aushalten, weil es sich so gut anfühlte, als das Zeug abging. Weiß du - es ist so, wie wenn man bei einer Wunde den Schorf abreißt. Es tut weh wie verrückt, aber es ist so schön, wenn man sieht, wie er abgeht. 
C.S. Lewis, Die Reise auf der Morgenröte S. 92f

Sonntag, 21. Februar 2016

Zitat am Sonntag

Die Welt, die ich baue, ist nicht gut -
aber ich bau' keine böse Welt.
Ist das genug?
Karol Wojtyła, Der Gedanke ist eine seltsame Weite S.21

Sonntag, 14. Februar 2016

Zitat am Sonntag

[...] ebenso ist es mit dem Geist. Beschäftigt man ihn nicht mit einem bestimmten Gegenstand, der ihn zügelt und beschwert, so wirft er sich regellos hierhin und dorthin  ins grenzenlose Feld der Einbildungen.[...]
Die Seele, die kein festgestecktes Ziel hat, verliert sich: denn, wie man sagt, der ist nirgendwo, der allenthalben ist.
Montaigne, Über den Müßiggang, in Montaigne, Essais S.77f


Sonntag, 7. Februar 2016

Zitat am Sonntag

Authority cannot be effective unless its subjects accept it. Acceptance must be threefold. First Catholics ought to listen to the guidance by authority and the reasons it gives for its judgments and if these reasons are objectively valid submit of their objective truth. Second, Catholics must also intelligently accept the guidance of authority even when authority cannot give convincing reasons. Third, Catholics must refuse acceptance of authoritative teachings only when authority exceeds its legitimate limits, or contradicts itself or the evident truth. The notion that we ought to decide everything for ourselves and reject whatever we do not understand pervades our individualistic culture, but is absurd, since in fact we must often trust the guidance of others more qualified than we are. Since to be a Christian requires us to accept God's guidance, whether we understand it or not, and to be a Catholic Christian we must believe that God has chosen to guide us through the successors of the apostles, it is totally contradictory to refuse to accept that guidance, within its proper limits and when one is not certain that it is mistaken,
Benedict Ashley, The Ashley Reader: Redeeming Reason, p.90
 

Sonntag, 31. Januar 2016

Zitat am Sonntag

Der Mensch ist nicht geschaffen, um allein zu leben. Er wird geboren und wächst in einer Familie auf, um sich später mit seiner Arbeit in die Gesellschaft einzugliedern. Er findet sich also von Geburt an in verschiedene Traditionen eingebunden, von denen er nicht nur die Sprache und kulturelle Bildung, sondern auch vielfältige Wahrheiten empfängt, denen er gleichsam instinktiv glaubt. Persönliches Wachstum und Reifung bringen es jedoch mit sich, dass diese Wahrheiten durch den besonderen Einsatz des kritischen Denkens in Zweifel gezogen und überprüft werden können. Das hindert nicht, dass nach dieser Übergangsphase dieselben Wahrheiten aufgrund der mit ihnen gemachten Erfahrung oder kraft nachfolgender Überlegungen "wiedergewonnen" werden. Trotzdem sind im Leben eines Menschen die einfachhin geglaubten Wahrheiten viel zahlreicher als jene, die er durch persönliche Überprüfung erwirbt. Wer wäre denn imstande, die unzähligen wissenschaftlichen Ergebnisse, auf die sich das moderne Leben stützt, kritisch zu prüfen? Wer vermöchte für sich allein den Strom der Informationen zu kontrollieren, die Tag für Tag aus allen teilen der Welt eintreffen und die immerhin als grundsätzlich wahr angenommen werden? Wer könnte schließlich die Erfahrungs- und Denkwege wiederholen, auf denen sich die Schätze der Menschheit an Weisheit und Religiosität angesammelt haben? Der mensch, ein Wesen , das nach Wahrheit sucht, ist auch derjenige, der vom Glauben lebt.
Papst Johannes Paul II., Enzyklika Fides et Ratio Nr. 31

Donnerstag, 28. Januar 2016

And the Bard's Songs will Remain: Komödie der Irrungen

Wir beginnen sogleich unsere Reise durch die Werke des "unsterblichen Barden". Am Anfang steht eine Komödie, und, wenn ich richtig sehe, eine seiner frühsten dazu: Die Komödie der Irrungen oder im Original The Comedy of Errors. Jetzt muss ich dazu sagen, dass ich mehr mit den Tragödien vertraut bin und die Komödien tatsächlich lange gescheut habe. Einerseits spricht man eigentlich nur über die Tragödien und andererseits konnte ich in der kleinen mir vorliegenden Auswahl feststellen, dass Shakespeare das ein oder andere Prinzip gerne mehrfach verwendet. Zwei stechen da besonder hervor: Bei der Geburt getrennte Zwillinge und Frauen, die sich als Männer ausgeben.

Tatsächlich haben wir hier auch gleich einen Treffer: Antipholus von Syrakus und Antipholus von Ephesus sind eben solche Zwillinge, wobei sich ihre Diener, beide genannt Dromio, noch hinzugesellen. Wer auf die grandiose Idee kam, Zwillinge dieselben Namen zu verleihen, sei mal dahin gestellt. Jedenfalls kommt Antipholus von Syrakus nach Ephesus, um seinen verlorenen Bruder zu suchen - und seinen Vater, der ebenfalls in Ephesus ist und gerade vor dem Herzog der Stadt stand und eigentlich zum Tode verurteilt wurde, sollte er nicht eine Strafe bezahlen können. Glücklicherweise rührt die Geschichte Aegons (Vater der beiden) den Herzog so weit, dass er ihm einen weiteren Tag zu leben gibt. Das wird aber erst fürs Ende interessant. Davor heißt es erst einmal drei Akte voller Verwechslungen, falschen Anschuldigungen und Witze zu sehen.

Vielmehr kann dazu auch nicht gesagt werden. Psychologisch gibt das Drama wirklich nicht viel her, es ist eine Komödie in Reinform, jedoch schafft sie es aus der Prämisse zu viel Humor wie möglich herauszuquetschen. Natürlich stoße ich hier auf ein großes Problem: Viel stärker als es schon bei den Tragödien der Fall ist, scheint es nötig zu sein, eine Aufführung mit guter Inszenierung zu betrachten, damit der Effekt des Dramas hinreichend bewertet werden kann. Ich hatte eigentlich eine im Kopf, jedoch schreckte mich der Trailer bei Digital Theatre ab.

Es handelt sich um ein bekanntes Phänomen. Jeder, der einmal die Worte eines Komikers weitergab, und nur gelangweilte Gesichter zurückstarren sah, oder einen Witz erzählte, der bei der Wiedergabe eines anderen Tränengelächter provozierte und bei der eigenen Darbietung nicht zündet, kennt es. Humor braucht zwar eine gute Grundlage, doch grundsätzlich ist für das zünden dieser Idee eine passende Darbietung nötig. Der Großteil der Szene wird durch Gestik, Intonation und Timing bewerkstelligt. So überrascht es nicht, wenn das pure Lesen kalt lässt, das Theater aber aufbrandende Begeisterung auslöst. Dafür wurde es schließlich auch geschrieben.

Man mag noch anmerken, das Drama halte sich an die Drei Einheiten von Zeit, Ort und Handlung. Wir stellen die Diskussion, ob es sich bei den Drei Einheiten um Regeln oder Observationen handelte man hinten an. Prinzipiell ist das nur insofern bedeutsam, als dass nur ein weiteres Shakespeare-Drama dies erfüllt. Mir scheint es sich mir jedoch eher um einen "Betriebsunfall" zu handeln, wenn man die Handlung genau betrachtet. Es fühlt sich nicht so an, als wolle sich der Autor an ein Schema halten. Mir scheint  es eher so, dass Shakespeare selbst nicht wusste, wie diese Geschichte länger als einen Tag andauern soll, oder die Handlung verlängert werden soll. Dabei zeigt sich ein wenig die Tugend hinter den Drei Einheiten: Warum unnötige Elemente einfügen, wenn diese lediglich vom Drama selbst ablenken.

Damit beginnt unsere Reise durch Shakespeare: Einer Komödie, deren Inhalt nicht überragend ist, dennoch ihr humoristisches Potential ausnutzt und zumindest einen erfreulichen Einstieg bereitet.

Dienstag, 26. Januar 2016

We are the world...

Auf der letzten Freizeit, bei der ich dabei war, sangen wir unter anderem das Lied "We are the world". Bei einer Zeile musste ich etwas stutzen:
As God has shown us / by turning stone to bread...
 Ich mag da ja was falsch verstanden haben, aber die entsprechende Bibelstelle sieht folgendermaßen aus:

3Da trat der Versucher an ihn heran und sagte: Wenn du Gottes Sohn bist, so befiehl, dass diese Steine Brot werden. 4Er antwortete: Es steht geschrieben: Nicht vom Brot allein lebt der Mensch, sondern von jedem Wort, das aus dem Mund Gottes kommt.
Matt 4,3-4

Man mache daraus, was man wolle.

Sonntag, 24. Januar 2016

Zitat am Sonntag

Lenin in fact confused epistemological realism with materialism (he repeats several times that materialism consists of recognizing 'objective material reality', 'independent of the subject' - but if so, nearly every Catholic philosopher is a materialist).

- Leszek Kołakowski, Main Currents of Marxism p.722

Freitag, 22. Januar 2016

Kurzkritik: Eine Weihnachtsgeschichte - Charles Dickens

Über die Adventszeit habe ich mir "Eine Weihnachtsgeschichte" von Charles Dickens als Adventskalender durchgelesen. Für jeden Tag blieben ca. zwölf Seiten, sodass man am Heiligen Abend das Werk fertig hatte. Zuvor kannte ich nur etliche Verfilmungen, so war ich doch einigermaßen überrascht, welche Versionen näher an der Vorlage waren, und welche sich mehrere Freiheiten nahmen. Hier möchte ich nur drei Aspekte nennen, die dazu geführt haben könnten, dass Dickens' Geschichte zu einem absoluten Weihnachtsklassiker geworden ist.

Erstens, stellt es sich konkret gegen einen Behaviorismus, der strikt über die Vergangenheit auf die Gegenwart schließt. Wer sich jedoch die Episoden in der Vergangenheit betrachtet, wird hier eine Reihe von Entscheidungen und Einflüssen vorfinden. Kurz gesagt: Scrooge musste nicht der Geizhals werden, der er ist. Etliche Menschen um ihn herum, hätten anderes bewirken können. Seine Schwester hat ihm Liebe gezeigt und er hätte problemlos dieselbe seinem Neffen erwidern können. Sein erster Arbeitgeber, Fezziwig, stellt das absolute Gegenbeispiel zu seinem Führungsstil dar. So könnte man nach und nach zeigen, wie alles immer von seiner Entscheidung, von ihm selbst, abhängt.

Zweitens, wird auf die Bedeutung der Einheit von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verwiesen. Es reicht nicht, wie Freud lehrte, die Vergangenheit aufzuarbeiten, man muss hingegen ebenso das Jetzt betrachten. Aber selbst das reicht nicht, denn Scrooge wäre ansonsten schon nach dem Geist der gegenwärtigen Weihnacht fertig gewesen. Stets muss man, auch wenn man in der Gegenwart lebt, einen Blick auf die Zukunft werfen und die Konsequenzen seiner Taten im Blick behalten.

Drittens, liefert die Geschichte eine herrliche Mixtur von Schauer und wirklicher Freude. Einerseits ist es Dickens' wirkliche Geistergeschichte, Marleys Auftritt, die Enthüllung des Geistes der gegenwärtigen Weihnacht und der Geist der zukünftigen Weihnacht sind allesamt zum Fürchten. Tatsächlich hat mich die zweite Stelle, welche häufig in Adaptionen ausgespart wird, wie schon lange kein Werk mehr gepackt. Andererseits handelt es sich bei Scrooge nicht um eine Person, die unfähig ist, Freude zu empfinden, vielmehr ist die Fähigkeit vergraben worden, sodass sie immer wieder an verschiedenen Stellen hochblitzt und am Ende den Mann sogar überstrahlt.

So viel sei zu meinen kleinen Spekulationen zu diesem berechtigten Klassiker der Weltliteratur gesagt.

Mittwoch, 20. Januar 2016

Sing once again with me: Dracula - Das Musical

Würde man mich nach meinen Lieblingsmusicals fragen, würde ich drei Stück nennen: Das Phantom der Oper, Chess - und Dracula. Die ersten beiden sind relativ bekannt (vor allem das Phantom), aber Dracula scheint eher unter dem Radar zu laufen. Was auch damit zusammenhängt, dass die englische Version ein Flop war. Ich habe sie mir mal angehört und kann das auch ein wenig nachvollziehen, denn sie klingt irgendwie kitschig und die Texte wirken auf deutsch, in der Übersetzung, natürlicher als im Original - ich verteidige lyrisch ja fast immer die englische Sprache, dies ist ein seltenes Beispiel für das Gegenteil.

Grundsätzlich brachte ich diesem Musical eine gehörige Portion Skepsis entgegen. Für mich lief es unter einem - wie mir gesagt wurde - Scherz im Musical-Business, wonach es von allem ein Musical gibt. Ja, auch davon. So konnte ich mir die Handlung von Dracula überhaupt nicht in dieser Form vorstellen. Nach kurzem Reinhören wandte sich das aber in volle Begeisterung. Ich liebe die Texte, Sänger und die Musik. Dazu mische man noch eine klasse Bearbeitung der Vorlage, welche ein brillantes Wechselspiel zwischen der klassischen Versuchung und der eigentlich ethisch richtigen Antwort darstellt, und man erhält ein wunderbares Kunstwerk. Vor allem imponierte mir dabei die Qualität der Lieder. Normalerweise hinterlassen Musicals einen ähnlichen Nachgeschmack wie viele Alben. Zwar gibt zwei oder drei Höhepunkte, der Rest besteht jedoch eher aus mittelmäßigem Geplätscher. Schaue ich mir zusätzlich die gesamte Handlung an, fügen sich die Lieder zumindest in diese ein, höre ich mir jedoch nur den Soundtrack an, verfällt dieser Vorteil. So überraschte mich, dass ich nicht nur stets andere Lieblingslieder in diesem Musical entdecke, sondern mir auch durchweg das gesamte Stück anhören kann. Trotzdem bin ich nicht hier, um nur zu loben. Vielmehr geht es mir darum, die kleinen Schnitzer dieses ansonsten gelungenen Werkes zu bemängeln.

Insgesamt missfallen mir zwei Dinge, wobei sich eines davon an zwei Stellen äußert, grundsätzlich handelt es sich aber um denselben Fehler. Das gesamte Musical handelt von Versuchung, der Graf fasst es kurz vor Ende mit "Du bleibst für immer jung und schön" zusammen. Problematisch wird es nun, wenn eine der Figuren dieser nachgibt, denn dann befinde ich mich faktisch in einer anderen Geschichte. Man kann darüber genauso etwas erzählen, darf dann aber nicht weiter die Frage stellen, ob man dem Verführer erliegt. Aber genau das wird an zwei Stellen getan. Erst gibt Jonathan den Vampirbräuten nach, übrigens nach einem wunderschönen Duett mit seiner Verlobten, was einerseits die Figur unliebsam macht und andererseits die gesamte Intention des Werkes gefährdet. Aber auch seine Frau Mina gibt Dracula später nach. Dabei sollte sie eigentlich bis zum Ende zweifeln, ob sie dem Grafen folgen soll oder nicht. Vor allem stört mich immer wieder daran, wie einfach diese zwei Stellen zu beheben sind, man schneidet maximal zwei Minuten an Musik und repariert das gesamte Stückt.

Dann kommt natürlich das Ende. Kurz zuvor singt der Graf noch mit der Inbrunst der Überzeugung "Ein Leben mehr und du entkommst dem kühlen Grab/ brauchst kein Gebet, steigst nicht ins Totenreich hinab/ spart euch den Psalm, weint einem anderen hinterher/ denn die Gnade, die ich gewähr', wiegt unendlich mehr/ Ein Leben mehr!" Daraufhin wird er in "Je länger ich lebe" plötzlich, ohne jede Motivation, melancholisch und wünscht sich im Finale letztendlich den Tod. Somit widersteht Mina nicht der Verführung, der Verführer hat einfach seine Lust verloren.

Alles in allem ist Dracula trotzdem ein markantes Musical, bis auf diese Stellen genieße ich es immer wieder gerne. Dann konzentriere ich mich einfach auf die Musik und die Sänger und ignoriere die eigentliche Handlung.

Montag, 18. Januar 2016

And the Bard's Songs will Remain

Ich möchte endlich einmal die gesamten Werke von William Shakespeare lesen. Zufälligerweise stellt 2016 das Jahr seines 400. Todestages dar, weswegen das der perfekte Anlass ist, dies zu tun. Auch der Blog von David Withun hat ein ähnliches Projekt geplant. Im Moment übernehme ich auch seine Leseliste, denn ich will im Grunde ähnlich verfahren, indem ich jede Woche ein Stück lese. Ich will mich lediglich zuerst um die Stücke kümmern, die ich noch nicht gelesen habe, sodass ich zwar momentan die Liste von diesem Blog übernehme, sie zu aber zu gegebener Zeit an meine Bedürfnisse anpasse.

01. The Comedy of Errors
02. Love’s Labor’s Lost
03. The Two Gentlemen of Verona
04. The Taming of the Shrew
05, A Midsummer Night’s Dream
06. The Merchant of Venice
07. Much Ado About Nothing
08. The Merry Wives of Windsor
09. As You Like It
10. Twelfth Night; Or, What You Will
11. All’s Well That Ends Well
12. Measure for Measure
13. Troilus and Cressida
14. The First Part of King Henry the Sixth
15. The Second Part of King Henry the Sixth
16. The Third Part of King Henry the Sixth
17. The Tragedy of King Richard the Third (Acts I-II)
18. The Tragedy of King Richard the Third (Acts III-V)
19. The Life and Death of King John
20. The Tragedy of King Richard the Second
21. The First Part of King Henry the Fourth
22. The Second Part of King Henry the Fourth
23. The Life of King Henry the Fifth
24. The Famous History of the Life of King Henry VIII
25. Titus Andronicus
26. Romeo and Juliet
27. Julius Caesar
28. Hamlet, Prince of Denmark (Acts I-II)
29. Hamlet, Prince of Denmark (Acts III-V)
30. Othello, the Moor of Venice (Acts I-II)
31. Othello, the Moor of Venice (Acts III-V)
32 .King Lear (Acts I-II)
33. King Lear (Acts III-V)
34. Macbeth
35. Timon of Athens
36. Anthony and Cleopatra
37. Coriolanus (Acts I-II)
38. Coriolanus (Acts III-V)
39. Pericles
40.Cymbeline
41. The Winter’s Tale
42. The Tempest
43. The Two Noble Kinsmen
44. Venus and Adonis
45. The Rape of Lucrece
46. The Phoenix and the Turtle
47. A Lover’s Complaint
48. Sonnets (1-50)
49. Sonnets (51-100)
50. Sonnets (101-154)

Sonntag, 17. Januar 2016

Zitat am Sonntag

Aus den weiten Falten seines Gewandes hervor erschienen jetzt zwei Kinder, elend, abgemagert, hässlich udn mitleiderregend. sie knieten vor dem Geiste nieder und hielten sich festgeklammert an dem Saum seines Gewandes.
"O Mensch, sieh hier", rief der Geist. "Sieh hier, sieh hier!"
Es waren ein Knabe und ein Mädchen. Fahlen gesichtes, elend zerlumpt und mit wildem, tückischen Blicke; aber doch auch ängstlich und gedrückt in ihrer Demut. Wo die Schönheit der Jugend ihre Züge hätte durchleuchten und mit ihren frischesten Farben kleiden sollen, hatte sie eine runzlige abgelebte Hand, gleich der des Alters berührt und versehrt. Wo Engel hätten thronen können, lauerten Teufel mit grimmigem, drohendem Blick. Keine Veränderung, keine Entwürdigung der Menschheit in allen Geheimnissen der Schöpfung hat so schreckliche und grauenerregende Ungeheuer aufzuweisen.
Entsetzt fuhr Scrooge zurück. Da sie ihm der Geist auf solche Weise gezeigt hatte, versuchte er zu sagen, es wären schöne Kinder, aber die worte erstickten ihm von selber, um nicht teilzuhaben an einer so ungeheuren Lüge.
"Geist, sind das deine Kinder?" Weiter konnte Scrooge nichts sagen.
"Es sind des Menschen Kinder"; erwiderte der Geist, auf sie herabschauend.  "Und sie hängen sich an mich, vor mir ihre Väter anklagend. Dieser Knabe ist die Unwissenheit. Dieses Mädchen ist der Mangel. shcau sie beide wohl an, und vor allem diesen Knaben; denn auf seiner Stirn seh ich geschrieben, was Verhängnis ist, wenn die Schrift nicht verlöscht wird. Leugnet es", rief der Geist, seine Hand nahc der Stadt ausstreckend.
"Verleumdet alle, die es euch sagen! Gebt es zu umj Eurer Parteizwecke willen und macht es noch schlimmer! Und erwartet das Ende!"
"Haben sie keine Stütze, keinen Zufluchtsort?" rief Scrooge.
"Gibt es keine Gefängnisse?" sagte der Geist, das letzte Mal die eigenen Worte von Scrooge gegen ihn gebrauchend.

-Charles Dickens, Eine Weihnachtsgeschichte 

Samstag, 16. Januar 2016

Unbefleckte Empfängnis

In letzter Zeit habe ich häufiger gelesen, wie der Begriff der Unbefleckten Empfängnis falsch verwendet wird. Da ich gern habe, wenn man zumindest Begriffe richtig gebraucht, möchte ich meinen Teil zu einer Definition tun und mir nicht vorwerfen lassen, diesen Fehler so stehen gelassen zu haben. Erstens, die Unbefleckte Empfängnis hat nichts mit der Jungfrauengeburt zu tun. Geburt hat schließlich nichts mit Befleckung zu tun.
Worauf bezieht sich das also? Maria, so die Lehre der Kirche,  ist ohne Erbsünde empfangen worden, deswegen spricht sie der Engel als "voll der Gnade" (Lk 1,28) an.
Der Katechismus spricht darüber in den Nr. 490ff.
Warum so viele Leute diesen Fehler begehen, ist mir schleierhaft, denn sogar Wikipedia gibt das akkurat wieder.

Donnerstag, 14. Januar 2016

Der Dunkle Turm 3: tot. - Stephen King

"Töte , wenn du willst, aber befiehl mir nichts!" brüllte der Revolvermann. "Du hast die Gesichter deiner Erbauer vergessen! Töte, oder schweig und hör mir zu, mir, Roland von Gilead, Sohn von Steven, Revolvermann und Lord der alten Länder! Ich bin nicht jahrelang und meilenweit gereist, um mir dein kindisches Plappern anzuhören! Hast du verstanden! Und jetzt wirst du MIR zuhören!"1
Erstmals betreten wir auf dem Weg zum Dunklen Turm ein für mich unbekanntes Gebiet, was sich praktisch daraus ergeben hat, dass meine lokale Bibliothek genau diesen Band nicht auf Lager hatte. Im Nachhinein handelt es sich dabei wohl um eine Schande, denn gerade mit diesem Buch schafft King es, mich fast völlig für diese Reihe einzunehmen. Wenn ich zuvor noch gezweifelt hätte, ob ich die Serie bis zum Ende lesen möchte, wäre an dieser Stelle Schluss mit solchen Überlegungen.

Nachdem Roland seine Gefährten im Vorgänger "gezogen" hat, kann er sich mit seinem neuen Ka-tet die Suche nach dem Dunklen Turm mit vollem Elan angehen - fast.

Wie schon in Drei lässt King seinen Protagonisten nicht ohne Weiteres davon kommen. Wie er zuvor direkt zu Beginn auf die Monsterhummer traf, muss Roland dieses Mal mit den Konsequenzen seiner Handlungen am Ende des zweiten Romans kämpfen. Er entschied sich, die Abläufe in unserer Welt zu verändern, indem er Jake vor dem "Schubser", Jack Mort (übrigens französisch der Tod, deswegen zieht der Mann in Schwarz im Tarot auch die Karte des Todes2), rettet. Ich dachte noch, dabei handle es sich nur um eine Beruhigung von Rolands Gewissen, ohne aber größere Relevanz zu haben. Vielmehr schien es mir darum zu gehen, sowohl die Medizin als auch Munition aus unserer Welt zu besorgen. Stattdessen tormentiert der Autor seine Figur gnadenlos. In seinem Kopf konkurrieren nun zwei verschiedene Varianten der Vergangenheit, wobei er nicht entscheiden kann, welche denn nun die Realität darstellt. Das ist für mich eine faszinierende Variation des Zeitparadoxon, denn normalerweise scheint sich die Realität entweder problemlos anzupassen oder sorgt für den gewohnten Ablauf der Ereignisse.

Noch besser wird das ganze, wenn man erfährt, dass auch Jake unter diesen Problemen leidet. Dabei sind die Auswirkungen bei ihm deutlich massiver, denn er ist nur ein normaler Junge und kein durch etliche Abenteuer gestählter Revolvermann. Durch die Neueinführung von Jake löst King ein von mir bei Drei angesprochenes Problem: Dort schien es noch so, als glaube der Autor selbst, mit Susannah sei die dritte Person des Ka-tet gezogen, jetzt wird aber deutlich, dass dies nur Rolands fehlerhafte Auffassung war. So wird nun alles daran gesetzt, den Jungen nach Mittwelt zu ziehen. Dabei stoßen wir auf ein anderes Problem, das ich bei der Besprechung von Schwarz ansprach. Die emotionale Bindung zwischen Roland und Jake wurde in diesem Roman nur mangelhaft aufgebaut, es schien damals eine charakterkonforme Handlung für Roland zu sein, den Jungen in den Abgrund fallen zu lassen. In tot. plagten ihn auf einmal Schuldgefühle deswegen und er verspricht ihm, dies nie wieder zu tun. Die Szene an und für sich ist gut, verweist emotional jedoch für den Leser auf ein Loch, sodass er den Figuren nicht ganz folgen kann. Man kann es so ausdrücken: Der Kopf weiß, was der Autor will, das Herz kann das nur nicht ganz nachvollziehen.

Endlich löst King auch den Hauptkritikpunkt, den ich bisher in diesen Rezensionen entwickelt habe. Der Formlosigkeit der Welt wird entgegengewirkt. Augenscheinlich wird diese Welt von sechs Balken gehalten, deren zwölf Enden jeweils einen Wächter aufweisen. Weiterhin befindet sich in der Mitte, wo sich alle Balken treffen, der Dunkle Turm. Schritt für Schritt erfahren wir etwas über diese Welt und können uns etwas darunter vorstellen. Wir treffen sogar einen der Wächter, Shardik, den Bären, welcher in einen Kampf mit dem Ka-tet gerät. Bei ihm handelt es sich um einen Cyborg, was einerseits für später relevant ist und andererseits die These stützt, Mittwelt sei eine mögliche Zukunft unserer Welt. Allerdings gibt es in dieser Welt auch Dämonen, sodass ich immer noch nicht ganz sicher bin, wie die in Schwarz eingeführten Anspielungen ans Christentums ins Bild passen sollen. Übrigens führt der Dämon, der den Übergang, den Jake aus unserer Welt in die Rolands nehmen soll, zu einer etwas unangenehm zu lesenden Szene, denn Susannah muss ich sexuell bereitstellen, um den Dämon zu beschäftigen. Zumindest ist das ganze Geschehen plotrelevant.

Spätestens in Lud erfährt man durch die Reaktion der Bewohner, ihren devoten Respekt, mehr über die Revolmänner, als King bisher in Worte packen konnte. Aber auch für das große Finale etabliert einen interessanten Aspekt: Die Welt Rolands hält Rätsel für wichtig - sehr wichtig. Wer ein großer Rätselmeister war, dem gebührte Ansehen; jeder Jahrmarkt beinhaltete einen solchen Wettbewerb. Das ist einerseits eine nette historische Tatsache. Im Mittelalter waren gerade Rätsel als Zeitvertreib und Schärfung des Denkens beliebt. Andererseits wird hier umsomehr deutlich, worauf gerade bei Revolvermännern Wert gelegt wird.

So wirkt der Antagonist am Ende völlig natürlich. Blaine, der Mono, ist ein computergesteuerter Zug, der sich aufgrund seiner Einsamkeit selbst zerstören möchte. Allerdings kommt er nicht umhin, seine überlegenden Fähigkeiten zu demonstrieren, was er leidenschaftlich gerne durch Rätsel tut. So gehen er und Roland einen Pakt ein: Wenn das Ka-tet ihm ein Rätsel stellt, dessen Lösung ihm nicht möglich ist, muss er sie freilassen. Gelingt ihnen das nicht, sterben sie mit Blaine. Und dann endet der Roman.

Damit stellt King sich in beste Gesellschaft, wie König Ödipus und Der Kleine Hobbit, um nur zwei Beispiele zu nennen. Hiermit betritt er das Gebiet der klassischen Geschichte, gibt diesem End"kampf" etwas Erhabenes und basiert nun alles darauf, ob seine Figuren schlau genug sind, Blaine zu überlisten. Dazu kommt noch der brutale Cliffhanger. Ich habe natürlich leicht reden, konnte ich doch einfach ein paar Wochen später auf mein Regal greifen und hatte Glas in Händen. Leser, die der Originalveröffentlichung folgten, mussten ganze sieben Jahre auf die Auflösung warten. Nachdem er es also geschafft hat, seiner Geschichte den Hauch der Epik zu geben, ließ er nun die Leser warten.

Davor gibt es noch ein paar Zwischenspiele. Jake wird vom "Tick Tack Mann" entführt, die Situation wird von Roland aber relativ sauber entschärft. Die Gruppe trifft auch einen Billybumbler, ein Tier dieser Welt, der fortan Oy heißt und als Maskottchen der vier erscheint. Der Fokus bleibt trotz dieser Ablenkungen aber auf dem konsequenten Ausbau der Bedeutung von Rätseln in dieser Welt und dem Höhepunkt der Vorbereitung des Rätselduells.

Alles in allem ist tot. also ein guter Roman, der am Ende sogar am großartig kratzt, definitiv aber einen äußerst faszinierenden Aspekt anspricht. Während Drei zumeist durch seine schnell Erzählung die fehlenden Anhaltspunkte für den Leser überspielte, fühlt man sich in der Welt von tot. wohl - so wohl man sich einer Welt fühlen kann, "die sich weitergedreht hat". Damit im Rücken sind wir dem Turm wieder einen Schritt näher gekommen.

1Stephen King, tot. S.600
2"Aber nicht für dich, Revolvermann!"

Dienstag, 12. Januar 2016

Harry Potter und die Kammer des Schreckens - J.K. Rowling

Es sind nicht unsere Fähigkeiten, Harry, sondern unsere Taten, die zeigen, wer wir sind.1
Nach einiger Zeit widmen wir uns wieder dem Zaubererlehrling und seinen weiteren Abenteuern. Weiterhin sollte ich achtgeben, dass diese mit den Büchern vergleichbar kurzen Rezensionen nicht in der selben Zeitspanne erscheinen wie die Romane selbst.

Harry verbringt seinen Sommer bei den Dursleys. Obwohl er ein deutlich besseres Leben als noch vor einem Jahr führt und er erfahren hat, dass er ein Zauberer ist, ist seine Stimmung an einem Tiefpunkt. Er hatte gedacht, er habe in Hogwarts, der Schule für Hexerei und Zauberei, zwei wahre Freunde gefunden, jedoch scheint sich von diesen beiden keiner dazu herabzulassen, ihm über die Ferien zu schreiben. Er selbst darf seine Eule Hedwig auf Anweisung seines Onkels nicht herauslassen. Zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt, als er eigentlich so tun soll, als gäbe es ihn nicht, trifft er die Grund dieser Briefstille: ein Hauself namens Dobby möchte Harry unter allen Umständen davon abhalten, Hogwarts erneut zu besuchen, da in diesem Jahr dort schreckliche Dinge geschehen sollen. Und so soll das zweite Jahr beginnen.

Als häufigen Vorwurf wird man wohl lesen, das Buch sei eigentlich nur eine Kopie des ersten Teils, eine Kritik, welche ich nie für nachvollziehbar hielt. Freilich gibt es Parallelen, wobei ich da auf die fast notwendig vorgegebene Struktur hinweisen würde. Wir müssen bei den Dursleys anfangen, die Logik der aufgebauten Welt verlangt es. Hogwarts ist als Schule angelegt, also wird ein Schuljahr in gewisser Hinsicht dem nächsten gleichen müssen, etc.. Für mich ist es einfach immer wieder interessant zu beobachten, wie viele Leute, in Rezensionen und auch anderen Aspekten, sehr gut darin sind, Gemeinsamkeiten zu finden, aber feine Unterschiede nicht erkennen. Mal habe ich gehört, die Philosophie umfasse die Fähigkeit, zu unterscheiden. Damit im Hinterkopf erzählt mir das vieles über dieses Umfeld.

So gibt es zwar strukturelle Ähnlichkeiten, letztendlich erhalten alle bekannten Elemente aber eine Variation. Zwar beginnen wir bei den Dursleys, von dort gelangen wir jedoch in den Fuchsbau, einen für die weiteren Romane interessanten Ort und treffen hier die Weasleys, wenn man so will, in ihrer natürlichen Umgebung. Nach erhalten auch Ginny und Mrs Weasley zum Beispiel, welche zuvor bewusst farblos gelassen wurden, einen gewissen Charakter. Zudem reagieren die Dursleys auf die Vorgänge aus dem vorangegangenen Buch, sodass diese eben nicht in einem Vakuum geschehen. Begonnen wird hier auch der "Running Gag", dass der Lehrer für Verteidigung gegen die Dunklen Künste jeweils nur ein Jahr unterrichtet. Gilderoy Lockhart ist jedoch im Vergleich zu Quirrell eine viel aktivere Figur, gestaltet somit einiges im Hintergrund der Handlung mit und sorgt somit dafür, Hogwarts, zum Leidwesen der Schüler und des Lehrkörpers, mit ein wenig anderem Leben zu füllen. Größter Unterschied ist natürlich der Charakter selbst, der aus den Seiten hervor zu springen scheint, so lebendig selbstverliebt wird er dargestellt, wodurch Quirrell, dem erst im letzten Kapitel des ersten Romans überhaupt Beachtung geschenkt wird, was seine Figur angeht, völlig in Vergessenheit gerät. Angeblich soll die reale Vorlage Lockharts noch arroganter sein, wobei ich mir kaum vorstellen kann, wie das möglich sein soll: ein inkompetenter Blender, der seinen ganzen Erfolg auf den Schultern von anderen aufbaut, denen er ihr Gedächtnis nimmt, gehört meiner Ansicht nach zu einer Niedertracht der besonderen Art.

Interessant ist auch, wie hier die Struktur einer klassischen Detektivgeschichte angenommen wird, welche zuvor eher angedeutet war. Es gibt einen Übeltäter, den es zu überführen gilt, und dazu werden über den Verlauf der Handlung Hinweise gegeben. Diese mögen subtil sein, doch sie sind zweifellos vorhanden. So treffen wir auch hier auf ein Ende, das daraus besteht, die vorhandenen Hinweise in eine kohärente Tat zu verpacken. Dieser Aspekt war es auch, der mich dazu verleitete zu glauben, J.K.Rowlings Der Ruf des Kuckucks werde ein guter Roman sein. Neben einer mittelmäßigen Handlung war es da gerade das Ende, bei dem ich nicht glauben konnte, es mit der selben Autorin zu tun zu haben. Aber das ist ein anderes Thema.

Tatsächlich sollte man die Qualität des zweiten Roman erst mit der Veröffentlichung des Halbblutprinzen zu schätzen wissen. Denn bis zu diesem Roman schien es sich bei Kammer des Schreckens eher um einen Füllroman zu handeln, der zwar äußerst charakterrelevant war, letztlich die große Handlung aber nicht weiterbrachte. Teilweise hängt das wahrscheinlich mit der Originalkonzeption zusammen. Der englische Titel spricht ja auch von einer "Kammer der Geheimnisse", wodurch die Vermutung naheliegt, dass Rowling einiges streichen musste, sodass der deutsche Titel paradoxerweise bis heute schlüssiger klingt.

Doch auch ohne dieses vorgreifende Wissen etabliert dieser Roman einige neue Dinge. Cornelius Fudge hat seinen ersten Auftritt und verrät in dieser kleinen Szene bereits, wie er in einer Krisensituation, wie sie dann später eintritt, reagieren wird: Sich der Mehrheit beugen, einer populären Maßnahme folgen und die richtige nicht erkennen. Genauso wird die Frage geklärt, wie Hagrid von Hogwarts verwiesen wurde.

Allgemein stellt man hier die Eskalation fest, die die ganze Reihe durchzieht, wobei ich direkt hinzufüge, dass ich sie hier am wenigsten gelungen finde. Man geht von einer konkreten Lebensgefahr für Harry, Ron und Hermine zu einer Lebensgefahr für die gesamte Schule. Grundsätzlich ist das gut gedacht, noch stirbt keiner, was in Anbetracht der Hintergrundgeschichte des ersten Öffnens der Kammer schlüssig ist und aus Sicht der Reihe auch erst später, hier konkret in Band vier, passieren sollte. Problematisch wird das nur, wenn wir endlich erfahren, was denn die Schüler angriff: ein Basilisk - ein Wesen, das mit seinen Blicken tötet. Es ist absolut glaubwürdig, wenn wir Harry entkommen lassen. Jedes Opfer durch eine Reihe von Zufällen zu verschonen, lässt den Basilisken völlig inkompetent wirken. Das, oder Dumbledore hat jedem Schüler wohlweislich vor Beginn des Schuljahres eine abgeschwächte, langwirkende Form des Felix Felicis verabreicht.

Im Nachgang ist es faszinierend zu sehen, wie das Hauptthema bereits im ersten Kapitel in den Fokus gerückt wird. Während der erste Teil damit befasst war, Harry klar zu machen, was er ist, basiert der zweite Teil vielmehr darauf, Harrys Entscheidungen zu hinterfragen, also wie er agiert. Er ist ein Zauberer und der Junge, der überlebte, daran kann er nichts ändern. Zwei Aspekte hingegen entschied er selbst: Harry entschied sich einerseits gegen Slytherin und freundete sich andererseits mit Ron und Hermine an. Der Roman befasst sich vor allem mit dem ersten Aspekt, benutzt zuerst aber als Aufhänger einen Zweifel an der zweiten Entscheidung. Der Konflikt mit seinen Freunden wird nicht weiter vertieft, sondern auf die weiteren Bände verschoben.

Was aber den Roman antreibt, ist Harrys Frage, wer er sei. Symbolisch wird das durch Slytherin und Gryffindor dargestellt: Auf der einen Seite, was er als böse und selbstsüchtig sieht und auf der anderen Seite das Vorbild. Dabei wird es vor allem dadurch bearbeitet, ob denn seine Fähigkeiten, also was er ist, dies beeinflussen. Im ersten Roman musste Harry sich von seiner Reputation lösen und eigene Leistung erbringen, denn "Ruhm ist eben nicht alles"2. Die Kammer des Schreckens zwingt ihn dazu, sich zu fragen, ob die Fähigkeiten, die er bei sich entdeckt hat, ihn moralisch in eine bestimmt Richtung zwingen. Im fünften Roman werden wir auf diesen Umstand aus einer anderen Richtung nochmals zu sprechen kommen. Der Roman gelingt über seine relative Kürze ein faszinierende Crecendo. Um eine andere Filmreihe zu zitieren: No fate but what we make.

Das Hörbuch von Rufus Beck bleibt weiterhin über allen Zweifeln erhaben. Der zweite Film von Christopher Kolumbus gehört sicherlich zu den unterhaltsamsten der Reihe. Stylistisch lässt sich hier überhaupt kein Bruch feststellen und Kenneth Branagh fügt sich brillant in den Cast ein. Lediglich das Drehbuch von Steve Kloves lässt ein wenig zu wünschen übrig. Im ersten Teil haben alle drei Figuren, Harry, Ron und Hermine, ihre Charakterentwicklung erhalten und konnten in verschiedenen Momenten glänzen. Im zweiten Film wird klar, dass Hermine Kloves Lieblingscharakter ist, denn die gesamte Intelligenz des Trios ging auf sie über, was dem Film letzten Endes ein wenig schadet.

Alles in allem ist auch der zweite Teil der Harry Potter-Reihe ein empfehlenswertes Buch, begeistert vor allem durch seine Charakterzeichnung und das spannend zu lösende Rätsel.

1J.K.Rowling, Harry Potter und die Kammer des Schreckens, S.343
2J.K.Rowling, Harry Potter und der Stein der Weisen, S.152

Sonntag, 10. Januar 2016

Zitat am Sonntag

Die Philosophie lehr handeln, nicht reden; sie fordert, dass jeder Grundsätze habe, damit sich Leben und Lehre nicht widerspreche, und dass alles Tun und Reden im Einklang stehe; letzteres ist sogar die Hauptaufgabe der Weisheit und ihr untrüglichstes Kennzeiche - dass der Mensch sich überall gleich und derselbe bleibe. Wer wird dies wohl fertigbringen? Nur wenige Menschen , aber doch einige. Denn es ist nicht leicht, und ich behaupte nicht, der weise könne immer gleichen Schritt halten; aber er bleibt doch immer auf gleichem Weg.
Seneca, Epistel 20 ("Charakterbildung durch die Philosophie"), zitier aus Seneca, Moralische Briefe, S.43

Freitag, 8. Januar 2016

Star Wars Monopoly

Man möchte meinen, in der großen weiten Welt gäbe es wichtigere Probleme. Für manch einen Star Wars - Fan  sieht das anders aus, sodass man sich selbst noch Probleme anschaffen muss. Zum Beispiel: Rey, die Hauptfigur des neuen Star Wars - Filmes gespielt von Daisy Ridley, taucht nicht als Spielfigur in der neuen Star Wars-Variante des altbekannten Spieleklassikers "Monopoly" auf. Der Vorwurf des Sexismus ist heute ja im Allgemeinen schnell ausgesprochen, so ließ man auch hier nicht lange auf sich warten. Wer jedoch ein wenig den Kontext betrachtet, kann darüber nur den Kopf schütteln.

Ich selbst besitze das Spiel nicht, muss also meine Beobachtungen auf die Amazon-Seite beschränken. Doch schon diese verrät mir zwei Dinge: Erstens, Monopoly wird nun durch die Einführung von zwei Seiten, der hellen und der dunklen Seite, bereichert. Zweitens wird die eine Seite durch Luke Skywalker und Finn und die andere durch Darth Vader und Kylo Ren dargestellt. Offensichtlich bezieht man sich also auf die unterschiedlichen Anhänger von Jedi und Sith. Wer den Film gesehen hat, fragt sich, warum nicht Rey diese Rolle einnimmt. Die Lösung findet sich im Veröffentlichungsdatum: Dieses war der 3. September des vergangenen Jahres, also Monate vor dem Film. Interessanterweise sollte es sehr bewusst so angelegt werden, dass Finn als der neue Jedi scheine. Sowohl das Poster als auch die Trailer zeigen nur Finn mit einem Lichtschwert. Wenn ich ein wenig spekulieren darf, durfte man wahrscheinlich diese kleine Tatsache nicht spoilern - tatsächlich hat sie mich beim Film dann auch überrascht.

Und, wer hätte es gedacht, die Macher des Spiels antworteten mit genau der Begründung, die ich mir alleine durch Spekulation erschlossen habe. Fairerweise wird diese Antwort im Artikel auch wiedergegeben.

Was mich aber wirklich frustriert, sind die Kritiker. Wie häufig sich schon Leute über diese Tatsache ohne Reflexion echauffierten, nur um im nächsten Satz zu sagen, man halte ohnehin nichts von Monopoly1. Bei manchen klingt es gar, als hinge die Erlösung der Welt von der Abschaffung Monopolys ab.

Sexismus - genauer: Misogynie - ist eine schlechte Sache, sicherlich. Genauso aber auch das Unterstellen von unlauteren Motiven. Dabei handelt es sich um etwas, was heutzutage selten bis gar nicht angeprangert wird, obwohl es, aus meiner Erfahrung fast flächendeckend vorhanden ist und schädlich ohne End wirken kann.

1Ich selbst halte nicht allzu viel von Monopoly, das hängt aber mehr mit meiner Tendenz zusammen, bei diesem Spiel abgezogen zu werden.

Sonntag, 3. Januar 2016

Zitat am Sonntag

In fundamentals, the Church rejoices in being unchangeable; but she is sometimes charged with being too stiff and stationary, even in those externals that are the legitimate sphere of change. And in one sense, I think this is, indeed, true; if we mean by the Church its mortal machinery. The Church cannot change quite so fast as the charges against her do. She is sometimes caught napping and still disproving what was said about her on Monday, to the neglect of the completely contrary thing that is said about her on Tuesday. She does sometimes live pathetically in the past, to the extent of innocently supposing that the modern thinker may think to-day what he thought yesterday. Modern thought does outstrip her, in the sense that it disappears, of itself, before she has done disproving it. She is slow and belated, in the sense that she studies a heresy more seriously than the heresiarch does.
 G.K. Chesteron, in Collected Works Volume III, p. 41 (aus Where All Roads Lead, Kapitel III The History of a Half-Truth)