Dienstag, 12. Januar 2016

Harry Potter und die Kammer des Schreckens - J.K. Rowling

Es sind nicht unsere Fähigkeiten, Harry, sondern unsere Taten, die zeigen, wer wir sind.1
Nach einiger Zeit widmen wir uns wieder dem Zaubererlehrling und seinen weiteren Abenteuern. Weiterhin sollte ich achtgeben, dass diese mit den Büchern vergleichbar kurzen Rezensionen nicht in der selben Zeitspanne erscheinen wie die Romane selbst.

Harry verbringt seinen Sommer bei den Dursleys. Obwohl er ein deutlich besseres Leben als noch vor einem Jahr führt und er erfahren hat, dass er ein Zauberer ist, ist seine Stimmung an einem Tiefpunkt. Er hatte gedacht, er habe in Hogwarts, der Schule für Hexerei und Zauberei, zwei wahre Freunde gefunden, jedoch scheint sich von diesen beiden keiner dazu herabzulassen, ihm über die Ferien zu schreiben. Er selbst darf seine Eule Hedwig auf Anweisung seines Onkels nicht herauslassen. Zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt, als er eigentlich so tun soll, als gäbe es ihn nicht, trifft er die Grund dieser Briefstille: ein Hauself namens Dobby möchte Harry unter allen Umständen davon abhalten, Hogwarts erneut zu besuchen, da in diesem Jahr dort schreckliche Dinge geschehen sollen. Und so soll das zweite Jahr beginnen.

Als häufigen Vorwurf wird man wohl lesen, das Buch sei eigentlich nur eine Kopie des ersten Teils, eine Kritik, welche ich nie für nachvollziehbar hielt. Freilich gibt es Parallelen, wobei ich da auf die fast notwendig vorgegebene Struktur hinweisen würde. Wir müssen bei den Dursleys anfangen, die Logik der aufgebauten Welt verlangt es. Hogwarts ist als Schule angelegt, also wird ein Schuljahr in gewisser Hinsicht dem nächsten gleichen müssen, etc.. Für mich ist es einfach immer wieder interessant zu beobachten, wie viele Leute, in Rezensionen und auch anderen Aspekten, sehr gut darin sind, Gemeinsamkeiten zu finden, aber feine Unterschiede nicht erkennen. Mal habe ich gehört, die Philosophie umfasse die Fähigkeit, zu unterscheiden. Damit im Hinterkopf erzählt mir das vieles über dieses Umfeld.

So gibt es zwar strukturelle Ähnlichkeiten, letztendlich erhalten alle bekannten Elemente aber eine Variation. Zwar beginnen wir bei den Dursleys, von dort gelangen wir jedoch in den Fuchsbau, einen für die weiteren Romane interessanten Ort und treffen hier die Weasleys, wenn man so will, in ihrer natürlichen Umgebung. Nach erhalten auch Ginny und Mrs Weasley zum Beispiel, welche zuvor bewusst farblos gelassen wurden, einen gewissen Charakter. Zudem reagieren die Dursleys auf die Vorgänge aus dem vorangegangenen Buch, sodass diese eben nicht in einem Vakuum geschehen. Begonnen wird hier auch der "Running Gag", dass der Lehrer für Verteidigung gegen die Dunklen Künste jeweils nur ein Jahr unterrichtet. Gilderoy Lockhart ist jedoch im Vergleich zu Quirrell eine viel aktivere Figur, gestaltet somit einiges im Hintergrund der Handlung mit und sorgt somit dafür, Hogwarts, zum Leidwesen der Schüler und des Lehrkörpers, mit ein wenig anderem Leben zu füllen. Größter Unterschied ist natürlich der Charakter selbst, der aus den Seiten hervor zu springen scheint, so lebendig selbstverliebt wird er dargestellt, wodurch Quirrell, dem erst im letzten Kapitel des ersten Romans überhaupt Beachtung geschenkt wird, was seine Figur angeht, völlig in Vergessenheit gerät. Angeblich soll die reale Vorlage Lockharts noch arroganter sein, wobei ich mir kaum vorstellen kann, wie das möglich sein soll: ein inkompetenter Blender, der seinen ganzen Erfolg auf den Schultern von anderen aufbaut, denen er ihr Gedächtnis nimmt, gehört meiner Ansicht nach zu einer Niedertracht der besonderen Art.

Interessant ist auch, wie hier die Struktur einer klassischen Detektivgeschichte angenommen wird, welche zuvor eher angedeutet war. Es gibt einen Übeltäter, den es zu überführen gilt, und dazu werden über den Verlauf der Handlung Hinweise gegeben. Diese mögen subtil sein, doch sie sind zweifellos vorhanden. So treffen wir auch hier auf ein Ende, das daraus besteht, die vorhandenen Hinweise in eine kohärente Tat zu verpacken. Dieser Aspekt war es auch, der mich dazu verleitete zu glauben, J.K.Rowlings Der Ruf des Kuckucks werde ein guter Roman sein. Neben einer mittelmäßigen Handlung war es da gerade das Ende, bei dem ich nicht glauben konnte, es mit der selben Autorin zu tun zu haben. Aber das ist ein anderes Thema.

Tatsächlich sollte man die Qualität des zweiten Roman erst mit der Veröffentlichung des Halbblutprinzen zu schätzen wissen. Denn bis zu diesem Roman schien es sich bei Kammer des Schreckens eher um einen Füllroman zu handeln, der zwar äußerst charakterrelevant war, letztlich die große Handlung aber nicht weiterbrachte. Teilweise hängt das wahrscheinlich mit der Originalkonzeption zusammen. Der englische Titel spricht ja auch von einer "Kammer der Geheimnisse", wodurch die Vermutung naheliegt, dass Rowling einiges streichen musste, sodass der deutsche Titel paradoxerweise bis heute schlüssiger klingt.

Doch auch ohne dieses vorgreifende Wissen etabliert dieser Roman einige neue Dinge. Cornelius Fudge hat seinen ersten Auftritt und verrät in dieser kleinen Szene bereits, wie er in einer Krisensituation, wie sie dann später eintritt, reagieren wird: Sich der Mehrheit beugen, einer populären Maßnahme folgen und die richtige nicht erkennen. Genauso wird die Frage geklärt, wie Hagrid von Hogwarts verwiesen wurde.

Allgemein stellt man hier die Eskalation fest, die die ganze Reihe durchzieht, wobei ich direkt hinzufüge, dass ich sie hier am wenigsten gelungen finde. Man geht von einer konkreten Lebensgefahr für Harry, Ron und Hermine zu einer Lebensgefahr für die gesamte Schule. Grundsätzlich ist das gut gedacht, noch stirbt keiner, was in Anbetracht der Hintergrundgeschichte des ersten Öffnens der Kammer schlüssig ist und aus Sicht der Reihe auch erst später, hier konkret in Band vier, passieren sollte. Problematisch wird das nur, wenn wir endlich erfahren, was denn die Schüler angriff: ein Basilisk - ein Wesen, das mit seinen Blicken tötet. Es ist absolut glaubwürdig, wenn wir Harry entkommen lassen. Jedes Opfer durch eine Reihe von Zufällen zu verschonen, lässt den Basilisken völlig inkompetent wirken. Das, oder Dumbledore hat jedem Schüler wohlweislich vor Beginn des Schuljahres eine abgeschwächte, langwirkende Form des Felix Felicis verabreicht.

Im Nachgang ist es faszinierend zu sehen, wie das Hauptthema bereits im ersten Kapitel in den Fokus gerückt wird. Während der erste Teil damit befasst war, Harry klar zu machen, was er ist, basiert der zweite Teil vielmehr darauf, Harrys Entscheidungen zu hinterfragen, also wie er agiert. Er ist ein Zauberer und der Junge, der überlebte, daran kann er nichts ändern. Zwei Aspekte hingegen entschied er selbst: Harry entschied sich einerseits gegen Slytherin und freundete sich andererseits mit Ron und Hermine an. Der Roman befasst sich vor allem mit dem ersten Aspekt, benutzt zuerst aber als Aufhänger einen Zweifel an der zweiten Entscheidung. Der Konflikt mit seinen Freunden wird nicht weiter vertieft, sondern auf die weiteren Bände verschoben.

Was aber den Roman antreibt, ist Harrys Frage, wer er sei. Symbolisch wird das durch Slytherin und Gryffindor dargestellt: Auf der einen Seite, was er als böse und selbstsüchtig sieht und auf der anderen Seite das Vorbild. Dabei wird es vor allem dadurch bearbeitet, ob denn seine Fähigkeiten, also was er ist, dies beeinflussen. Im ersten Roman musste Harry sich von seiner Reputation lösen und eigene Leistung erbringen, denn "Ruhm ist eben nicht alles"2. Die Kammer des Schreckens zwingt ihn dazu, sich zu fragen, ob die Fähigkeiten, die er bei sich entdeckt hat, ihn moralisch in eine bestimmt Richtung zwingen. Im fünften Roman werden wir auf diesen Umstand aus einer anderen Richtung nochmals zu sprechen kommen. Der Roman gelingt über seine relative Kürze ein faszinierende Crecendo. Um eine andere Filmreihe zu zitieren: No fate but what we make.

Das Hörbuch von Rufus Beck bleibt weiterhin über allen Zweifeln erhaben. Der zweite Film von Christopher Kolumbus gehört sicherlich zu den unterhaltsamsten der Reihe. Stylistisch lässt sich hier überhaupt kein Bruch feststellen und Kenneth Branagh fügt sich brillant in den Cast ein. Lediglich das Drehbuch von Steve Kloves lässt ein wenig zu wünschen übrig. Im ersten Teil haben alle drei Figuren, Harry, Ron und Hermine, ihre Charakterentwicklung erhalten und konnten in verschiedenen Momenten glänzen. Im zweiten Film wird klar, dass Hermine Kloves Lieblingscharakter ist, denn die gesamte Intelligenz des Trios ging auf sie über, was dem Film letzten Endes ein wenig schadet.

Alles in allem ist auch der zweite Teil der Harry Potter-Reihe ein empfehlenswertes Buch, begeistert vor allem durch seine Charakterzeichnung und das spannend zu lösende Rätsel.

1J.K.Rowling, Harry Potter und die Kammer des Schreckens, S.343
2J.K.Rowling, Harry Potter und der Stein der Weisen, S.152

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