Donnerstag, 14. Januar 2016

Der Dunkle Turm 3: tot. - Stephen King

"Töte , wenn du willst, aber befiehl mir nichts!" brüllte der Revolvermann. "Du hast die Gesichter deiner Erbauer vergessen! Töte, oder schweig und hör mir zu, mir, Roland von Gilead, Sohn von Steven, Revolvermann und Lord der alten Länder! Ich bin nicht jahrelang und meilenweit gereist, um mir dein kindisches Plappern anzuhören! Hast du verstanden! Und jetzt wirst du MIR zuhören!"1
Erstmals betreten wir auf dem Weg zum Dunklen Turm ein für mich unbekanntes Gebiet, was sich praktisch daraus ergeben hat, dass meine lokale Bibliothek genau diesen Band nicht auf Lager hatte. Im Nachhinein handelt es sich dabei wohl um eine Schande, denn gerade mit diesem Buch schafft King es, mich fast völlig für diese Reihe einzunehmen. Wenn ich zuvor noch gezweifelt hätte, ob ich die Serie bis zum Ende lesen möchte, wäre an dieser Stelle Schluss mit solchen Überlegungen.

Nachdem Roland seine Gefährten im Vorgänger "gezogen" hat, kann er sich mit seinem neuen Ka-tet die Suche nach dem Dunklen Turm mit vollem Elan angehen - fast.

Wie schon in Drei lässt King seinen Protagonisten nicht ohne Weiteres davon kommen. Wie er zuvor direkt zu Beginn auf die Monsterhummer traf, muss Roland dieses Mal mit den Konsequenzen seiner Handlungen am Ende des zweiten Romans kämpfen. Er entschied sich, die Abläufe in unserer Welt zu verändern, indem er Jake vor dem "Schubser", Jack Mort (übrigens französisch der Tod, deswegen zieht der Mann in Schwarz im Tarot auch die Karte des Todes2), rettet. Ich dachte noch, dabei handle es sich nur um eine Beruhigung von Rolands Gewissen, ohne aber größere Relevanz zu haben. Vielmehr schien es mir darum zu gehen, sowohl die Medizin als auch Munition aus unserer Welt zu besorgen. Stattdessen tormentiert der Autor seine Figur gnadenlos. In seinem Kopf konkurrieren nun zwei verschiedene Varianten der Vergangenheit, wobei er nicht entscheiden kann, welche denn nun die Realität darstellt. Das ist für mich eine faszinierende Variation des Zeitparadoxon, denn normalerweise scheint sich die Realität entweder problemlos anzupassen oder sorgt für den gewohnten Ablauf der Ereignisse.

Noch besser wird das ganze, wenn man erfährt, dass auch Jake unter diesen Problemen leidet. Dabei sind die Auswirkungen bei ihm deutlich massiver, denn er ist nur ein normaler Junge und kein durch etliche Abenteuer gestählter Revolvermann. Durch die Neueinführung von Jake löst King ein von mir bei Drei angesprochenes Problem: Dort schien es noch so, als glaube der Autor selbst, mit Susannah sei die dritte Person des Ka-tet gezogen, jetzt wird aber deutlich, dass dies nur Rolands fehlerhafte Auffassung war. So wird nun alles daran gesetzt, den Jungen nach Mittwelt zu ziehen. Dabei stoßen wir auf ein anderes Problem, das ich bei der Besprechung von Schwarz ansprach. Die emotionale Bindung zwischen Roland und Jake wurde in diesem Roman nur mangelhaft aufgebaut, es schien damals eine charakterkonforme Handlung für Roland zu sein, den Jungen in den Abgrund fallen zu lassen. In tot. plagten ihn auf einmal Schuldgefühle deswegen und er verspricht ihm, dies nie wieder zu tun. Die Szene an und für sich ist gut, verweist emotional jedoch für den Leser auf ein Loch, sodass er den Figuren nicht ganz folgen kann. Man kann es so ausdrücken: Der Kopf weiß, was der Autor will, das Herz kann das nur nicht ganz nachvollziehen.

Endlich löst King auch den Hauptkritikpunkt, den ich bisher in diesen Rezensionen entwickelt habe. Der Formlosigkeit der Welt wird entgegengewirkt. Augenscheinlich wird diese Welt von sechs Balken gehalten, deren zwölf Enden jeweils einen Wächter aufweisen. Weiterhin befindet sich in der Mitte, wo sich alle Balken treffen, der Dunkle Turm. Schritt für Schritt erfahren wir etwas über diese Welt und können uns etwas darunter vorstellen. Wir treffen sogar einen der Wächter, Shardik, den Bären, welcher in einen Kampf mit dem Ka-tet gerät. Bei ihm handelt es sich um einen Cyborg, was einerseits für später relevant ist und andererseits die These stützt, Mittwelt sei eine mögliche Zukunft unserer Welt. Allerdings gibt es in dieser Welt auch Dämonen, sodass ich immer noch nicht ganz sicher bin, wie die in Schwarz eingeführten Anspielungen ans Christentums ins Bild passen sollen. Übrigens führt der Dämon, der den Übergang, den Jake aus unserer Welt in die Rolands nehmen soll, zu einer etwas unangenehm zu lesenden Szene, denn Susannah muss ich sexuell bereitstellen, um den Dämon zu beschäftigen. Zumindest ist das ganze Geschehen plotrelevant.

Spätestens in Lud erfährt man durch die Reaktion der Bewohner, ihren devoten Respekt, mehr über die Revolmänner, als King bisher in Worte packen konnte. Aber auch für das große Finale etabliert einen interessanten Aspekt: Die Welt Rolands hält Rätsel für wichtig - sehr wichtig. Wer ein großer Rätselmeister war, dem gebührte Ansehen; jeder Jahrmarkt beinhaltete einen solchen Wettbewerb. Das ist einerseits eine nette historische Tatsache. Im Mittelalter waren gerade Rätsel als Zeitvertreib und Schärfung des Denkens beliebt. Andererseits wird hier umsomehr deutlich, worauf gerade bei Revolvermännern Wert gelegt wird.

So wirkt der Antagonist am Ende völlig natürlich. Blaine, der Mono, ist ein computergesteuerter Zug, der sich aufgrund seiner Einsamkeit selbst zerstören möchte. Allerdings kommt er nicht umhin, seine überlegenden Fähigkeiten zu demonstrieren, was er leidenschaftlich gerne durch Rätsel tut. So gehen er und Roland einen Pakt ein: Wenn das Ka-tet ihm ein Rätsel stellt, dessen Lösung ihm nicht möglich ist, muss er sie freilassen. Gelingt ihnen das nicht, sterben sie mit Blaine. Und dann endet der Roman.

Damit stellt King sich in beste Gesellschaft, wie König Ödipus und Der Kleine Hobbit, um nur zwei Beispiele zu nennen. Hiermit betritt er das Gebiet der klassischen Geschichte, gibt diesem End"kampf" etwas Erhabenes und basiert nun alles darauf, ob seine Figuren schlau genug sind, Blaine zu überlisten. Dazu kommt noch der brutale Cliffhanger. Ich habe natürlich leicht reden, konnte ich doch einfach ein paar Wochen später auf mein Regal greifen und hatte Glas in Händen. Leser, die der Originalveröffentlichung folgten, mussten ganze sieben Jahre auf die Auflösung warten. Nachdem er es also geschafft hat, seiner Geschichte den Hauch der Epik zu geben, ließ er nun die Leser warten.

Davor gibt es noch ein paar Zwischenspiele. Jake wird vom "Tick Tack Mann" entführt, die Situation wird von Roland aber relativ sauber entschärft. Die Gruppe trifft auch einen Billybumbler, ein Tier dieser Welt, der fortan Oy heißt und als Maskottchen der vier erscheint. Der Fokus bleibt trotz dieser Ablenkungen aber auf dem konsequenten Ausbau der Bedeutung von Rätseln in dieser Welt und dem Höhepunkt der Vorbereitung des Rätselduells.

Alles in allem ist tot. also ein guter Roman, der am Ende sogar am großartig kratzt, definitiv aber einen äußerst faszinierenden Aspekt anspricht. Während Drei zumeist durch seine schnell Erzählung die fehlenden Anhaltspunkte für den Leser überspielte, fühlt man sich in der Welt von tot. wohl - so wohl man sich einer Welt fühlen kann, "die sich weitergedreht hat". Damit im Rücken sind wir dem Turm wieder einen Schritt näher gekommen.

1Stephen King, tot. S.600
2"Aber nicht für dich, Revolvermann!"

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