Sonntag, 20. März 2016

Zitat am Sonntag

Seit der Enzyklika "Pascendi dominici gregis" von 1907, die dem "Modernismus" den Kampf angesagt hatte - "De falsis doctrinis modernistarum" -, waren "Modernismus" und Antimodernismus" zu Feldstandarten einer Geisterschlacht nicht nur im Katholizismus geworden. Den Antimodernisten ging es nicht einfach darum, die kirchlichen Dogmen(z.B. die "Unbefleckte Empfängnis") und die Prinzipien der klerikalen Hierarchie (z.B. die Unfehlbarkeit des Papstes) zu verteidigen. So haben es ihre Gegner gerne dargestellt und deshalb im Antimodernismus nichts anderes gesehen als eine gefährliche oder gar lächerliche Verschwörung von Dunkelmännern gegen den wissenschaftlichen Geist der Zeit, gegen Aufklärung, Humanismus und Fortschrittsideen jeglicher Art.
Doch daß man Antimodernist sein konnte, ohne zum Obskuranten werden zu müssen, zeigt das Beispiel Carl Braig - ein scharfsinniger Kopf, der die unreflektierten Glaubensvoraussetzungen in den verschiedenen Spielarten der modernen Wissenschaftlichkeit aufdeckte; was sich glaubenslos und voraussetzungslos dünkte, das wollte er aus seinem "dogmatischen Schlummer" aufwecken. Die sogenannten Agnostiker, sagte er, haben auch einen Glauben, allerdings einen besonders primitiven und hausbackenen: den Glauben an den Fortschritt, an die Wissenschaft, an die biologische Evolution, die es angeblich so gut mit uns meint, an ökonomische und historische Gesetze... Der Modernismus sei, so Braig, "geblendet für alle, was nicht sein Selbst ist oder nicht seinem Selbst dient", die Autonomie des Subjektes sei zu einem selbstgezimmerten Gefängnis geworden. Braig kritisiert an der modernen Zivilisation die mangelnde Ehrfurcht vor dem unausschöpflichen Geheimnis einer Wikrlichkeit, deren Teil wir sind und die uns umgreift. Wenn der Mensch sich anmaßend in den Mittelpunkt stellt, so bleibt ihm am Ende nur noch ein pragmatisches Verhältnis zur Wahrheit: 'Wahr' ist, was uns nützt und womit wir praktischen Erfolg haben. Dagegen nun Braig: "Die geschichtliche Wahrheit, wie alle Wahrheit - am siegreichsten leuchtet hier die mathematische Wahrheit auf, die strengste Form der weigen Wahrheit - ist vor dem subjektiven Ich und ohne dasselbe... So wie das Ich der Vernunft die Vernünftigkeit der Dinge insgesamt ansieht, so sind sie nicht in der Wahrheit... und kein Kant ... wird das Gesetz abändern, das dem Menschen gebietet, sich nach den Dingen zu richten."

Rüdiger Safranski, Ein Meister aus Deutschland - Heidegger und seine Zeit, S30f

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